Silence
nein, so fühle ich mich nicht. Du musst dir keine Sorgen machen.
Hilfe suchend warf ich Ermano einen raschen Blick zu. Die ganze Fahrt über hatte er geschwiegen. Abwesend starrte er zum Autofenster hinaus auf dunkle Häuser, Straßenlaternen oder Reklametafeln, die hin und wieder an uns vorbeihuschten.
Ermano?
Hmm? , machte er.
Wäre es nicht besser, wenn wir in einem Hotel unterkommen? Mir gefällt nicht, wie Giovanni behandelt wird. Und kann Dante hören, worüber wir uns unterhalten?
Ich hoffte nicht, aber da wir hier auf ziemlich engem Raum saßen, tauchten wir wahrscheinlich unter den Schild des jeweils anderen.
Nein, nicht wenn du das, was du denkst, direkt zu mir schickst.
Tue ich das denn? , fragte ich erschrocken. Schließlich hatte ich diese Sache absolut nicht unter Kontrolle.
Ja. Du tust es.
Ermano wandte seinen Kopf zu mir um und grinste.
Also, was ist mit dem Hotel? , hakte ich ungeduldig nach.
Du musst dir keine Sorgen um Giovanni machen. Dante ist nur so, weil er eifersüchtig ist. Sein Meister behandelt ihn wie einen Untergebenen, während ich das bei Giovanni nicht tue. Und Vincenzo hat mich schon vor langer Zeit freigegeben. Ich bin vielleicht jünger als Dante, aber mein eigener Herr. Das hat viel Bedeutung in unserer Welt.
Warum gibt er Dante nicht frei? , fragte ich mit einem mitleidigen Blick auf den Berg Muskeln.
Dante wurde als Sklave geboren. Vincenzo war schon immer sein Herr, auch als Dante noch ein Mensch war.
Vielleicht sollte ich meine Meinung, was den ungehobelten Gorilla betraf, noch einmal überdenken. Mehr als eintausend Jahre als Sklave. Niemals gelernt, was es heißt, frei zu sein. Wie es ist, einen freien Willen zu haben. Immer nur Befehle ausführen. Wenn es ein tragischeres Schicksal als meins gab, dann das von Dante.
Dante erwischte mich dabei, wie ich ihn musterte, und schenkte mir etwas, das ansatzweise an ein Lächeln erinnerte. »Wir müssen hier aussteigen. Wir sind jetzt auf der Piazzale Tronchetto. Ab hier geht es mit dem Boot weiter. Tronchetto ist so was wie der Parkplatz von Venedig«, klärte er mich auf. »Hier ist die letzte Möglichkeit, sein Auto abzustellen – abgesehen von der Piazzale Roma, aber da konnten wir keine Abmachung für einen festen Parkplatz treffen.«
»In Venedig gibt es also gar keine Autos?«, fragte ich hellhörig.
»Nein. Venedig ist eine autofreie Stadt- weitestgehend. Hier fährt man mit den Vaporetto oder einer Go ndel. Die Vaporetto sind so was wie S-Bahnen. Allerdings auf dem Wasser. Meistens aber hoffnungslos überfüllt. Wir besitzen ein kleines privates Boot mit einem leisen Motor. So dass wir unbehelligt auch nachts fahren können.«
Auf den ersten Blick wirkte die Piazzale Tronchetto wie ein Hafen mit beleuchteten Kränen, Bojen und Bootsanlegestellen. Auf dem zweiten Blick war sie ein etwas trostloser grauer Zementblock. Hinter uns befand sich ein großes unromantisch aussehendes Parkhaus – nicht dass Parkhäuser im Allgemeinen romantisch aussehen. Tronchetto war eindeutig nicht das, was ich mit Venedig in Verbindung brachte. Etwas enttäuscht von meinem er sten Eindruck, den ich von Venedig erhielt, stapfte ich hinter Dante her und war froh, dass es noch immer Nacht war und ich nicht allzu viel sehen musste.
Das kleine Boot war dann doch nicht ganz so klein, sondern verfügte über genug Platz für neun Passagiere plus den Fahrer, die in zwei Sitzreihen zu vier Personen reisen konnten. Unser Fahrer war der Chauffeur, der auch schon den Rolls gesteuert hatte und sich zwische nzeitlich wieder zu uns gesellt hatte.
Dante ließ es sich nicht nehmen und hob mich grinsend in das Boot. »Signore Vincenzos Haus liegt direkt am Canale Grande. Wir werden nur ein paar Minuten unterwegs sein. Ich hoffe, du wirst nicht seekrank.«
Diese Frage war nicht ernst gemeint, was mir das Grinsen in Dantes Gesicht zeigte, aber ich sah mich gezwungen, kurz darüber nachzugrübeln, ob ich schon einmal in einem schwankenden, schaukelnden Boot gefahren war. Da ich zu dem Ergebnis kam, dass das nicht der Fall war, setzte ich mich verunsichert auf einen der Sitze und hoffte, dass der Knoten in meinem Magen kein erstes Anzeichen für meine Seeuntauglichkeit war.
Der Canale Grande ließ mich alles vergessen, was ich in den letzten Tagen durchgemacht hatte. Für wenige Minuten nahm der Zauber mich gefangen und es gab nur V enedig und mich. Ein Meer aus Lichtern tauchte alles in eine Märchenwelt, die sich im dunklen Wasser
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