Silence
Eindruck genommen haben mochten. Isabella öffnete den Schrank und winkte mich zu sich.
»Der Herr hat meine Tochter heute einkaufen geschickt. Er dachte, da du dein zu Hause übereilt verlassen hast, würdest du das eine oder andere gebrauchen können.«
Das eine oder andere war weit untertrieben. Der Schrank war bis zum Rand mit Kleidung gefüllt. Staunend ließ ich meine Finger über den seidigen Stoff eines nachtschwarzen Abendkleides gleiten. »Wofür ist das?«, flüsterte ich atemlos.
»Der Herr gibt morgen Abend einen Empfang , einen Maskenball. Er hofft, dass du bereit bist teilzunehmen.«
»Warum bemüht er sich so um mich?«, wollte ich wissen. Noch nie hatte jemand ein solches Interesse an mir gezeigt. Ich wusste nicht, ob ich geschmeichelt oder misstrauisch sein sollte.
Isabella schaute mich mit großen Augen an, dann griff sie nach meinen Händen und blickte mir mit ihren grauen Augen ins Gesicht. »Ich weiß es nicht«, sagte sie ernst. »Aber er war nach dem Anruf deines Freundes gestern sehr aufgeregt.«
»Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?«, fragte ich.
»Mein Leben lang. Meine Familie arbeitet schon seit Generationen für den Herrn. Deinem Freund bin ich auch schon begegnet. Damals war ich kaum älter als du jetzt.« Ein Lächeln huschte über ihr sanftes Gesicht. »Ich war damals sehr angetan von Ermano. Aber was ich auch anstellte, er bemerkte mich einfach nicht.«
»War Giovanni auch schon hier?« Meine Hände strichen erneut über den glatten Stoff des Abendkleides.
»Nein. Ich hatte noch nicht das Vergnügen, ihn zu treffen. Ich lasse dich jetzt etwas allein. Wenn du möchtest, kannst du dann nach unten kommen, um etwas zu essen.«
Ich blickte Isabella nach und bewunderte ihren grazilen Gang und die jugendlich schlanke Figur, die gar nicht wirklich zu ihrem Alter passte. »Warten Sie, Isabella. Ich denke, ich komme gleich mit.« Ich warf me inem Zuhause auf unbestimmte Zeit noch einen kurzen Blick zu und lief dann hinter Isabella her, die bereits draußen im Korridor war.
»Bist du denn kein bisschen müde«, fragte sie erstaunt.
»Ich hab fast den ganzen Flug über geschlafen«, gab ich lachend zu. »Und mein Appetit ist in den letzten Wochen unfassbar gewachsen.«
»Das sieht man dir nicht an«, sagte sie, während sie vor mir die Wendeltreppe hinab stieg.
Wahrscheinlich hatte sie sogar recht. Irgendwie hatte ich es geschafft, an Gewicht zu verlieren, trotz meines fast nicht zu bändigenden Hungers. Meine Hosen, die noch vor Kurzem spannten, saßen jetzt viel zu locker auf meinen Hüften. Der Stress der vergangenen Tage war wohl nicht ohne Folgen geblieben – nicht dass mich das Ergebnis störte.
Dante setzte sich schmunzelnd neben mich. »Ich sehe, du kommst dem gleichen Drang wie deine zwei Freunde nach, nur dein Geschmack ist ein anderer.«
Verständnislos runzelte ich die Stirn und schaufelte ungeniert weiter die köstlichste Lasagne Bolognese in mich hinein, die ich je gegessen hatte.
»Sie sind auf der Jagd.«
Ich stoppte meine Zufuhr von übermäßig vielen Kohlehydraten und Fett. »Auf der Jagd?«, murmelte ich mit vollem Mund.
»Sie ernähren sich. Die Jungs sahen schon mächtig blass aus. Italienisches Blut wird ihnen gut tun. Sie hatten schon lange nichts Heimisches mehr.« Dante warf mir sein breites Grinsen zu und ließ seine Eckzähne aufblitzen. Er dachte wohl, er könnte mich damit beeindrucken oder verängstigen. Da ich diesen Anblick aber schon gewohnt war, blieb ich ganz unbeeindruckt.
»Italienisches Blut schmeckt also besser? Und ich dachte, Knoblauch wäre ein wesentlicher Bestandteil der italienischen Kochkunst«, sagte ich schnippisch.
»Du bist wirklich neu in unserer Welt«, lachte Dante herzhaft. »Knoblauch ist nur ein Aberglaube. Genauso wie Spiegel, Kruzifixe und der ganze andere Hokuspokus.« Zum Beweis schnappte sich Dante meine Gabel, die ich gerade neu beladen hatte, und schob sie sich in den Mund.
Ich zuckte gelassen mit den Schultern.
Isabella tauchte neben mir auf und stellte mir einen Teller mit einer sündhaft lecker aussehenden Creme auf Kirschen vor die Nase. Dante erntete einen ermahnenden Blick von ihr, dann entfernte sie sich wieder grummelnd vom Tisch.
»Du hast Ähnlichkeit mit ihrer Tochter. Das solltest du ausnutzen. Die alte Dame hat uns Männer hier ganz schön im Griff.«
Dante nahm den kleinen Löffel vom Rand des Tellers, machte etwas von der Creme darauf und schob ihn mir, ohne meinen Widerspruch zu
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