Silent Control | Thriller
verschwand durch einen Vorhang aus Perlenschnüren im Hinterzimmer und kam mit einem altmodischen großen Schlüssel zurück.
»Hier, ihr beiden Turteltauben. Und bring deine Freundin morgen zur Maniküre vorbei, sie hat es nötig. Ich mache einen guten Preis.«
Verschämt versteckte Nova ihre Hände in den Hosentaschen ihrer Jeans. Eine Maniküre hatte sie sich noch nie geleistet. Was ihr jedoch die Röte ins Gesicht trieb, war die Tatsache, dass diese Frau sie für Kilians Freundin hielt.
»Bin nur ein Kumpel«, sagte sie hastig. »Nichts weiter.«
Die Frau grinste. »So was kann sich schneller ändern, als du denkst, Baby.«
Auch Kilian schien diese Unterhaltung unangenehm zu sein. Er umarmte Rosie noch einmal, dann ging er hinaus und schloss die Eingangstür zum roten Haus auf.
Ein Gestank nach Müll, Urin und altem Fett schlug ihnen entgegen. Der schummrige Hausflur war angefüllt mit lauter Musik und Kindergeschrei, das aus den Wohnungen drang.
»Ist’n echter Held, dein Onkel.«
»Tja, vom dem Reichtum der Familie hat er wahrlich nicht profitiert. Im Gegenteil: Er hat sogar aufs Erbe verzichtet und sich mit einem Computerhandel durchgeschlagen.«
Schweigend stiegen sie die Treppen hoch bis in den vierten Stock. Die Wohnungstür war mit Graffiti besprayt, die Klingel hatte jemand aus ihrer Verankerung gerissen. Nur die Drähte hingen noch aus der Wand.
»Ich fühl mich wie zu Hause, aber dass du hier manchmal wohnst – kaum zu glauben.«
»Du hältst mich wohl für einen unverbesserlichen Snob, was?«, sagte Kilian, während er mit dem Schlüssel erst einen massiven Metallriegel entsicherte und dann die Tür damit öffnete. »Für mich war das hier immer der Zufluchtsort, an dem ich mich wohlgefühlt habe, wenn mein Vater mal wieder einen seiner Autoritätsanfälle hatte.«
Sie traten ein. Kilian schaltete die Beleuchtung an. »Voilà, Madame.«
»Wow, sieht total gemütlich aus!«
Der lange, weinrot gestrichene Korridor mit breiten Dielen wurde von edlen Jugendstillampen beleuchtet. Neben einer antiken Holzgarderobe glänzte ein hoher Spiegel mit vergoldetem Rahmen. An den Wänden hingen Gemälde in expressionistischer Manier.
Aufmerksam betrachtete Nova die Bilder. »Malt dein Onkel?«
»Ja, und gar nicht mal so schlecht. Er selbst nennt das Dekokunst.«
»Wo ist er jetzt?«
»Die meiste Zeit in Los Angeles bei seiner neuen Frau.« Kilian ging auf einen gewölbten Durchgang zu, der mit roten Samtportieren geschmückt war. »Komm, gehen wir in mein kleines Asyl.«
Nova machte große Augen. »Klein? Nennst du das klein, du Komiker?«
Der Raum hatte gut vierzig Quadratmeter. Neben einem breiten Doppelbett, das mit einer grau-weiß gemusterten Tagesdecke überzogen war, stand ein Schrank mit hellgrauen Milchglastüren. Zwei schlichte Nachttische, ebenfalls in hellgrau, ein großer Flat-Screen-Fernseher und eine Musikanlage rundeten das Ensemble ab. Alles wirkte sorgfältig ausgewählt.
Beeindruckt sank Nova auf das Bett. »Ich habe einen Bärenhunger. Meinst du, dein Onkel hat was in der Tiefkühltruhe?«
»Bestimmt.« Kilian machte sich an der Musikanlage zu schaffen. Eine Sekunde später erfüllte eine asiatisch klingende Entspannungsmusik das Zimmer. »Nimm dir einfach, was du willst, die Küche findest du am Ende des Flurs. Und bring mir irgendwas zu trinken mit. Derweil werde ich alles, was wir wissen, in die Blogs hauen.«
Er zog die graue Samtgardine ein Stück weit auf und deutete auf den Laptop. »Das ist der sinnvollste Weg, um Torben zu helfen. Wir müssen die Behörden an einem empfindlichen Punkt treffen. Ich hoffe, dass wir so genug Anonymous erreichen, die sich an die Sache ranhängen. Ich muss schauen, ob ich TOR installiert habe.«
»Du willst mit TOR ins Netz?« Nova kniff die Augenbrauen zusammen. »TOR kannst du vergessen. Aber über Ghost teilen wir uns die IP-Adresse mit mehreren Usern, so gewinnen wir wertvolle Zeit.«
»Sorry, klar, der Punkt geht an dich. Hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass ich mal auf die Schleichwege von Hackern setzen muss. Du hast eine Menge von Torben gelernt, stimmt’s?«
Nova legte eine Hand auf Kilians Schulter. »Glaubst du, dass er noch lebt?«
Auf einmal spürte Kilian ein Kribbeln, das sich entlang seiner Wirbelsäule ausbreitete. Er wusste nicht, ob es an Novas Berührung lag oder an ihrer Frage. Ein Schauder durchfuhr ihn, unwillkürlich hob er die Schultern. »Es gibt keinen Grund, ihn zu töten, Nova. Sie brauchen
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