Silent Control | Thriller
gewünscht, als wieder bei Saicom zu sitzen, irgendwelche Codes zu durchleuchten oder mit Nova in der Küche zu tratschen.
Die Isolation machte ihn halb wahnsinnig.
Jetzt wurde ihm bewusst, was Freundschaft wert ist und wie verletzt er sich durch Kilians Verrat fühlte. Enttäuschung gehörte wohl zum Leben. Aber er hatte zu wenig Freunde, um die Enttäuschung einfach wegzustecken und jemanden abzuschreiben. Ein Lichtblick blieb ihm noch: Nova.
Es klopfte. Er rückte seine Krawatte zurecht und stand auf.
»Mr. Arnström, es ist Zeit.«
Der kurze Moment der Entspannung war vorbei.
Der Ball Room des Mandarin Oriental war imposant. Torben schätzte, dass er gut siebenhundert Gäste fasste. Seine Bewacher schleusten ihn durch einen streng abgeschirmten Kontrollbereich, wo jeder Gast seine Anmeldebestätigung vorzeigen musste, denn der Kongress war nur für akkreditierte Teilnehmer zugänglich. Vor jedem Eingang stand zusätzliches Sicherheitspersonal, das die Ausweise überprüfte.
Als er die Kontrollen passiert hatte, kam June Madlow ihm entgegen. Das figurbetonte dunkelgraue Kostüm und ihr hochgestecktes Haar ließen sie weicher und weiblicher erscheinen. Eine ganz neue June.
»Ich muss zugeben, Sie gefallen mir ziemlich gut in dem Anzug.«
Ihr Tonfall war weitaus wärmer als noch am Morgen. Sie ergriff Torbens Hand und zog ihn an den fast voll besetzten Stuhlreihen vorbei bis ganz nach vorn, wo man zwei Plätze für sie reserviert hatte. Der Raum war von vielstimmigem Gemurmel erfüllt. »Kommen Sie, setzen Sie sich.«
Auf Anzugtypen steht sie also, dachte er. Aber was hatte er auch erwartet? Dass sie Männer in zerrissenen Jeans und verwaschenen T-Shirts mochte? Mürrisch platzierte er sich neben sie und betrachtete seine Schuhspitzen. Er vermisste schon jetzt seine abgelaufenen Sneakers, in denen er sich wesentlich wohler fühlte.
»Was soll meine Verkleidung?« fragte er kühl. »Wen wollen Sie damit beeindrucken? Mich oder die Kongressteilnehmer?«
»Warten Sie’s ab. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir heute Abend mit Direktor Clark zum Essen verabredet sind. Und zwar in einem der besten Restaurants von New York.«
»Wozu? Ich habe keinen Schimmer, was er von mir will.«
Sie legte warnend einen Finger an die Lippen. »Psst, später.«
Eine Lautsprecherstimme bat alle Anwesenden, Platz zu nehmen. Als Ruhe eingekehrt war, erklomm ein älterer Mann mit kurzem, grau meliertem Haar und blauem Sakko das Podest mit dem Rednerpult, das an der Stirnwand des Saals aufgebaut war. Auf einer Leinwand hinter ihm leuchtete eine Zusammenfassung der Themen auf, die an diesem Tag bereits behandelt worden waren. Es ging um das Ausspähen von Daten, Verstöße gegen den Jugendschutz, Identitätsdiebstahl und Urheberrechtsverletzungen. Weitere Programmpunkte waren Cyber Mobbing, Wirtschaftsspionage und Volksverhetzung sowie das Verbreiten von Kinderpornografie.
Der Mann hinter dem Rednerpult stellte sich als leitender Angestellter des Pentagons vor. Die Themenliste an der Wand, so sagte er, sei kaum von Interesse im Vergleich zu den wirklich brisanten Attacken, die die Weltwirtschaft und ganze Nationen bedrohten. Eingehend schilderte er die Gefahren durch fremde Regierungen und kriminelle Hacker. Für Torben war all das nichts Neues. Gelangweilt kritzelte er auf dem Notizblock herum, den die Organisatoren des Kongresses auf den Stühlen verteilt hatten. Doch dann hob er alarmiert den Kopf.
»Solange wir nicht ausmachen können, ob ein Angriff aus dem Netz militärisch oder politisch intendiert ist, gilt eine neue Richtlinie des Pentagons«, verkündete der Redner gerade. »Hackerangriffe wie zuletzt an der Wall Street oder beim Diebstahl der Blaupausen des Stealth-Kampfjet 35 erfordern deutlich härtere Maßnahmen!«
Alle Teilnehmer hörten plötzlich gebannt zu. Die meisten hatten bis jetzt auf ihren Smartphones herumgetippt oder sich leise mit ihren Sitznachbarn unterhalten.
»Jedes Land, jede Person muss ab sofort mit empfindlichen Strafen rechnen«, fuhr der Pentagon-Beamte fort. »Wer zum Beispiel versucht, unsere Krankenhäuser oder unsere Energieversorgung durch einen Cyberangriff lahmzulegen, wird ohne Vorwarnung militärisch angegriffen.«
Die Drohung war unmissverständlich: Ab jetzt würde der Staat mit aller Macht zurückschlagen. Prompt reagierte ein jüngerer Mann in der ersten Reihe auf dieses demonstrative Säbelrasseln.
»Sir, schießen Sie hier nicht mit etwas zu großen Kanonen auf die
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