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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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wie er selber damals die Katze in ein Haus hineinkomplimentiert hat, sprich gnadenlos. Sie hat eigens ihr asiatisches Hausmädchen von der Tür zurückgerufen, damit sie persönlich den ungebetenen Gast davonjagen kann. Und ob du es glaubst oder nicht. Die junge Witwe mit ihren grünen Augen und ihrer blonden Mähne hat auch ein bißchen etwas von einer Katze gehabt.
    Der Nachbarkatze damals in Puntigam hat das gar nichts ausgemacht. Weil Katze natürlich neun Leben, der hat das sogar getaugt. Die Angorahaare natürlich sind nur so geflogen, da hätte sich die Nachbarin ohne weiteres einen Pullover stricken können, aber sonst kein Hinken und kein gar nichts. Und pädagogischer Effekt großartig, weil die Katze ist tagelang nicht mehr auf dem Gehsteig herumgesessen und hat blöd in die Gegend geschaut. Das war es ja, was den dreizehnjährigen Burschen an ihr so aufgeregt hat. Weil wenn du heute dreizehn bist und den ganzen Tag nur am Gehsteig herumlungerst und blöd in die Gegend schaust, siehst du es nicht gern, daß dich eine Katze nachäfft.
    Und der Effekt für den Brenner jetzt auch großartig. Weil ich muß es ehrlich zugeben, der Brenner war manchmal nicht der Schnellste, immer noch ein bißchen das gedankliche Gehsteiglungern. Und da ist hin und wieder ein Tritt nicht das Schlechteste. Ich möchte fast wetten, daß ihm nur deshalb jetzt so schnell eine alte Bekannte eingefallen ist, die ihm aus der Zeit, wo er bei der Salzburger Kripo stationiert war, noch einen Gefallen schuldig war.
    Also nichts wie hinunter und nichts wie hinein ins Festspielhaus, wo das Fräulein Schuh damals als Sekretärin beschäftigt war. Und wie er die Tür zum Sekretariat aufmacht, springt das Fräulein Schuh gleich auf: «Ja, der Herr José!»
    Jetzt nicht daß du glaubst, der Brenner hat sich in den Jahren so verändert, daß sie ihn verwechselt hat. Ganz im Gegenteil. Das war die beste Begrüßung, die er sich nur hätte wünschen können. Deshalb war er ja da, weil ihm das Fräulein Schuh noch einen Gefallen schuldig war wegen dieser José-Geschichte.
    Da hat es nämlich damals bei den Festspielen diesen argentinischen Tenor gegeben, und die Frauen natürlich vollkommen verrückt gespielt: Hotel belagert, Bühne gestürmt, alles! Weil wenn so ein Lateinamerikaner in den Schmalztopf greift, da werden ja die Bürgersfrauen oft ganz wild, das glaubst du gar nicht.
    Und ich muß sagen: Hotel belagern, Bühne stürmen, das laß ich mir ja heute als Operntenor noch gefallen. Aber dann natürlich die Anrufe. Da ist damals ausgerechnet das Fräulein Schuh unter Verdacht geraten. Der Brenner hat das überprüfen müssen, und natürlich sofort Hausverstand: Das glaube ich nicht, daß diese alte Jungfer solche Anrufe macht. Weil das Fräulein Schuh natürlich schon ein bißchen Inbegriff. Ein knochiges Weiblein mit einer Brille, die womöglich noch ein paar Jahrhunderte mehr auf dem Buckel gehabt hat als das Fräulein selber. Ihre Haare hat sie so streng zurückgebunden, daß dich beim Hinschauen die eigene Kopfhaut gebrannt hat. Und ihre Lippen waren so dünn, ich muß sagen mikroskopisch, daß man sich nur gefragt hat, mit welchem Trick sie da den knallroten Lippenstift hinaufgezaubert hat.
    «Was verschlägt Sie denn zu mir?» hat sie den Brenner angestrahlt. «Werde ich etwa schon wieder verdächtigt?»
    «Ja, leider.»
    «Daß ich den Schwiegersohn von unserem Vize zersägt habe?»
    Mein lieber Schwan! Die hat ja ein völlig anderes Auftreten gehabt als damals. Vielleicht damals nur so zerknirscht, weil sie unter diesen fürchterlichen Verdacht mit den Anrufen gekommen ist. Weil man hat gesagt, der Herr José wechselt seine Telefonnummer schon fast täglich, und doch kriegt er die Anrufe immer noch.
    Das mußt du dir einmal vorstellen, sogar direkt vor seinen Auftritten hat der oft die Anrufe gekriegt, die ihn natürlich vollkommen aus dem Konzept gebracht haben. Und Verdacht, das muß jemand aus dem Sekretariat sein, sonst kann die Nummern ja niemand wissen. Und das Fräulein Schuh natürlich der größte Fan des Herrn José, Fotos, Autogramme, Taschentücher, alles gesammelt. Und dann das mit der Aussprache. «Man sagt nicht Schosé und man sagt nicht Tschosé und man sagt nicht Iosé und man sagt nicht Kosé!» Jeden hat sie mit ihrem ewigen Sprachunterricht genervt: «Man sagt Hosé!»
    Darum der Verdacht sofort auf das Fräulein Schuh. Weil die Anruferin ja immer nur Andeutungen rund um dieses eine Wort gemacht hat, quasi

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