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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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dann natürlich wie auf Kommando die ganze Gemeinde Nähmaschine. Du darfst nicht vergessen, daß alle gestanden sind, weil einmal knien, einmal sitzen, einmal stehen, so ist das eben in der Kirche, und Singen natürlich immer Stehpartie. Da haben jetzt wie auf Kommando alle die Nähmaschine in den Knien bekommen, sprich gemeinschaftlicher Zitteranfall, daß es in der Kirche nur so gerumpelt hat. Und mit dem Rumpeln hat sich dann das hysterische Geschrei erhoben, frage nicht.
    Zuerst ganz vorne das hohe Geschrei von den Erstklaßler-Bänken, dann gleich dahinter alle Oberstimmen Geschrei, dann sofort in den mittleren Bänken das erbärmliche Stimmbruchgeschrei, und jetzt auch hinten bei den Unterstimmen Geschrei, da ist die Welle durch die Bänke gewandert wie die Kugel bei einer perfekten Tischfußballgranate, an Freund und Feind vorbei, und jetzt ist das Geschrei schon durch die Präfektenbank gegangen und hat ganz hinten in der Personalbank eingeschlagen wie ein Blitz in eine überfüllte Tierfabrik.
    Und ob du es glaubst oder nicht, der Geistliche, der die Messe zelebriert hat, hat die ganze Zeit über in sein Mikrofon gebrüllt: «O Go! Go! Go!»
    Aber nicht daß du glaubst Beatmesse oder Negerspiritual. Sondern in der Aufregung hat der Hasenschartenpräfekt wieder einmal das «t» nicht gefunden.
    In diesem Moment hat es überhaupt nur einen einzigen Menschen im Marianum gegeben, der vollkommene Ruhe bewahrt hat. Weil Ohrenfriede einfach nicht zu erschüttern. Und der Brenner ist immer noch im Hilfspräfektenzimmer gelegen und hat geschlafen, junger Gott nichts dagegen.

4
    Daß der Mörder immer wieder an den Ort des Verbrechens zurückkehrt, das ist eine alte Regel, ich glaube, die kennt jeder Mensch von Kindesbeinen an. Ist natürlich ein Blödsinn wie die meisten Regeln, die jeder Mensch kennt. Weil wenn du heute als Mörder halbwegs bei Trost bist, kehrst du überall hin zurück, vielleicht an den Ort deiner Kindheit, wo du für deine liebe Mutter Schneeglöckchen gepflückt hast, oder zu dem Volksschulhaus, wo du das kleine Einmaleins gelernt hast, oder zu der Parkbank deiner ersten Liebe, da kehrt jeder gern zurück, ob Mörder oder nicht Mörder, weil manchmal braucht der Mörder genau wie der Nichtmörder ein bißchen die Gefühlswärme. Aber so sentimental ist kein Mörder, daß er an den Ort des Verbrechens zurückkehrt.
    Sentimental sogar eher das Opfer! Daß man sagen muß: Siehst du, da ist einmal das Opfer an den Ort zurückgekehrt.
    Jetzt ist der erzbischöfliche Restaurator Gottlieb Meller achtundzwanzig Jahre nach seinem Hygieneunterricht keine fünfzig Meter von den alten Duschen entfernt im Tischfußballtisch aufgetaucht. Natürlich sofort Polizeiauflauf, und gleich alles fachmännisch unter Kontrolle: Erstens Mord nicht im Keller passiert, sondern Leiche an einem anderen Ort zerstückelt und nur nachträglich im Tischfußballtisch verstaut. Obwohl ich ehrlich sagen muß, dafür brauche ich keinen Polizeiexperten, das hätte ich denen auch sagen können. Sonst wäre ja dem Franz schon viel früher was aufgefallen.
    Aber die Polizei dieses Mal wirklich auf Draht, und sofort einen Verdacht: die Klostersuppe. Weil da sind ja Tag für Tag die ärmsten Schlucker im Marianum ausgespeist worden. Und ein paar von denen waren schon die reinsten Stammgäste. Leider auch manchmal Mißbrauch der Hilfsbereitschaft, daß welche geglaubt haben, sie können sich über Nacht im Vogelhaus oder im Minigolfhaus einnisten. Da hat der Regens immer wieder den Haustischler schicken müssen, praktisch Razzia, weil Sicherheit für die Zöglinge natürlich Vorrang.
    Und du darfst eines nicht vergessen. Hier zerstückelt oder dort zerstückelt – ein bißchen Blut wäre auf jeden Fall noch aus dem Ballschlitz getropft, wenn die dreiundzwanzig Leichenteile nicht so fein säuberlich in Plastiksäcke verpackt gewesen wären. Bei der rechten Hand vom Restaurator hat sich ja der Plastiksack nur gelöst, weil der Franz so lange daran gezupft hat, bis die Hand herausgerutscht ist. Jetzt natürlich leichtes Spiel für die Polizei, weil wer hat schon dreiundzwanzig Plastiksäcke bei der Hand außer ein Obdachloser? Ein Nichtseßhafter, wie man heute sagt, ein Adressenloser, bei uns heißt es Sandler, bei den Deutschen Penner, und am besten sagen sie es auf englisch, paß auf: Plastiktaschen-Mann.
    Und ob du es glaubst oder nicht, den Täter haben sie noch am selben Tag geschnappt, weil der hat sich sein Schlafnest im alten

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