Silentium
Duschtrakt eingerichtet. Und die Spuren von der Zerstückelung im Duschraum, Schlachthaus Hilfsausdruck. Jetzt Vermutung naheliegend, daß der Restaurator ihn aufgestöbert hat, daß der vielleicht auf der Suche nach seiner Vergangenheit in den Duschkeller eingestiegen ist. Daß der Plastiktaschen-Mann ihn aus Angst um sein Revier erschlagen hat. Genau wird man es nie erfahren, weil der hat sich dann in einer der Duschen aufgehängt, darum haben sie ihn ja so schnell gefunden.
Zuerst Adrenalinstoß, hat er noch alles fein säuberlich verpackt, das stelle ich mir ein bißchen wie einen Putzrappel vor, aber dann, wie alles verpackt und verstaut war, muß ihm klargeworden sein, was er getan hat, hat er sich auf den Duschhahn gehängt.
Der war früher einmal Wetteransager beim Radio, dann drei verregnete Sommer, die Leute natürlich gnadenlos, sind seine Sympathiewerte in den Keller gerasselt, bis man ihn entlassen hat. Dann hat der leider den gleichen Fehler wie die Leute gemacht und auch einen Schuldigen gesucht, kurz und gut, er hat den Chef der Zentralanstalt für Meteorologie, der ihm immer die schlechten Wetterwerte geliefert hat, über den Haufen gefahren, Mordversuch, drei Jahre Gefängnis, und nach der Entlassung nie wieder erholt.
Und jetzt dieses Ende, ausgerechnet an einem strahlenden Sommertag, fürchterliche Geschichte. Aber für die Kripo angenehme Geschichte, weil Rückfalltäter immer gut, und sogar Blutspuren an der Jacke vom obdachlosen Wetteransager, und Akte geschlossen, so schnell schaust du gar nicht.
Für den Brenner ist dadurch natürlich alles nur noch schwieriger geworden. Weil einziger Zeuge verschwunden, und wie schaut es jetzt aus mit dem Bischofskandidaten Schorn? Wen soll der Brenner jetzt am besten fragen, ob der Monsignore Schorn den Toten aus dem Tischfußballtisch damals als kleinen Buben ein bißchen gedingst hat? Diese kleinen Fälle sind ja oft viel schwieriger zu lösen als die großen Mordfälle. Am besten natürlich Kontakt zur Gattin vom Verstorbenen herstellen, sprich Witwe. Aber Witwe immer schwierig, weil Trauer und alles. Und in diesem Fall noch schlimmer als gewöhnlich, weil Witwe Tochter vom Festspielvize.
Der Brenner hat also ein paar Tage gewartet und sich zuerst einmal im Haus umgehört. Aber im Haus hat es auch nicht mehr viel zum Umhören gegeben, weil die Ferien haben angefangen, jetzt das Haus von einem Tag auf den anderen wie ausgestorben. Alle Schüler weg, alle Lehrer weg, fast das ganze Personal weg, die asiatischen Hausgehilfinnen heimgeflogen, und so waren überhaupt nur mehr der Regens und ein paar Präfekten über den Sommer im Marianum.
Er hat sogar schon angefangen, in allen Ecken des Marianums herumzuwühlen, aber außer einem Personal-Gruppenfoto auf dem Müllberg hinter der Tischlerei ist ihm nicht viel untergekommen. Und das ist ihm auch nur aufgefallen, weil jemand die meisten Gesichter aus dem Foto herausgeschnitten hat, wahrscheinlich für eine Bastelei. An und für sich nicht aufregend, aber wenn gerade ein Mensch in dreiundzwanzig Teile geschnitten worden ist, dann wirst du bei solchen Sachen empfindlich. Und der Brenner hat auf einmal jeden Eingeborenen verstanden, der einen Tanz aufführt, nur weil ihm auf einem Foto ein Arm abgeschnitten worden ist.
Spätestens da ist dem Brenner aufgefallen, daß es so nicht weitergeht. Einen Tag nach dem Begräbnis hat er sich also doch endlich zu der Witwe hinaufgetraut. Hinauf, weil natürlich auch am Mönchsberg gewohnt, der Vater am Kapuzinerberg, die Tochter am Mönchsberg, die hätten sich mit einem Opernglas über die Stadt hinweg direkt in die Fenster schauen können.
Aber statt daß der Brenner dann eine Erinnerung aus der Witwe herausgebracht hätte, hat die Witwe eine Erinnerung im Brenner geweckt. Paß auf, das ist interessant.
Wie der Brenner selber noch in die Schule gegangen ist, Puntigamer Gymnasium, hat er einmal einen Blödsinn gemacht. Die zertrümmerte Fensterscheibe hätte man dem Halbstarken wahrscheinlich gar nicht so übel genommen, weil Allgemeinbildung: Das gehört bei einem richtigen Bubenleben dazu. Aber daß er die Scheibe zertrümmert hat, indem er die Nachbarkatze wie den feinsten Fußball vom Gehsteig aus durchs geschlossene Fenster ins Wohnzimmer geschossen hat, das hat schon ein bißchen für Gerede in Puntigam gesorgt.
Und wie jetzt die Witwe den Brenner aus ihrem Haus hinauskomplimentiert hat, nur weil er bei ihr geklingelt hat, das hat ihn eben daran erinnert,
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