Silentium
«Hosé, verlier nicht deine Hosé», und noch schlimmere Sachen.
Der Brenner hat die Angelegenheit dann aber ruck, zuck aufgeklärt. Es hat sich herausgestellt, daß der Herr José gar nicht seine Hose verloren hat, sondern seine Stimme. Der hat nur eine Ausrede für seine fürchterlich schlechten Auftritte gebraucht und deshalb die Anrufe erfunden. Bei den Salzburger Festspielen ist der natürlich nie mehr aufgetreten, aber auch wieder so ein Beispiel dafür, daß ein Nachteil sich oft in einen Vorteil verwandelt, weil in Baden-Baden hat der dann mit seinem bißchen Stimme noch das große Geld gemacht, frage nicht.
Deshalb hat der Brenner sich jetzt daran erinnert, daß ihm das Fräulein Schuh noch einen Gefallen schuldig ist. Weil das Fräulein Schuh hat zwar in ihrem Leben nie in ein Telefon hineingeflüstert. Aber sie hat in ihrer Position so viel am Telefon gehört, die hat Dinge über Leute gewußt, die die Leute selber nicht gewußt haben.
«Sie wollen von mir hören, wie die Ehe war!» hat sie den Brenner durch ihre dicke Brille herausfordernd angeschaut. Siehst du, der hat man nicht einmal die Fragen stellen müssen. Der hat man nicht einmal erklären müssen, daß man mit dem Fall Gottlieb Meller betraut ist. Die hat schon alles gewußt. Er hat ja wirklich von ihr wissen wollen, wie die Ehe zwischen der Präsidententochter und dem Gottlieb so gelaufen ist. Aber jetzt hat er das alte Fräulein Schuh absichtlich ein bißchen mißverstanden.
«Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie geheiratet haben.»
«Ich?» Das Fräulein Schuh ist so rot geworden, daß es den Brenner nicht gewundert hätte, wenn es auf ihren blitzend weißen Blusenkragen abgefärbt hätte.
Der Brenner hat damals in den paar Tagen mit der José-Sache das Fräulein Schuh gar nicht so schlecht kennengelernt. Er hat sich erinnert, daß sie großen Wert auf die Anrede Fräulein gelegt hat, obwohl sie einen erwachsenen Sohn gehabt hat. Aber das war der einzige Mann in ihrem Leben, daran hat das Fräulein Schuh keinen Zweifel gelassen. 1964 hat sie ihn auf die Welt gebracht und bis heute keinem Menschen verraten, wer der Vater war.
Ich persönlich sage ja immer, schnippische Frauensprache im Grunde genommen nicht sehr positiv, aber wenn dir eine mit einer guten Antwort übers Maul fährt, hat es schon wieder was. Und das Fräulein Schuh zu jedem, der sich blöd über den Vater erkundigt hat: «Der Heilige Geist wird’s schon nicht gewesen sein!»
Da hat ihr wer schon sehr sympathisch sein müssen, daß sie ihm anvertraut hat: «Der John F. Kennedy war es, aber sag’s bitte nicht weiter. Darum hab ich ihn ja auch nach ihm getauft.» Weil 1963 das Attentat auf den John F. Kennedy, Amerika drüben, von der Jackie Onassis der erste Mann, das war damals in aller Munde, ja was glaubst du, Lee Harvey Oswald auf der Gegenseite, siehst du, alles fällt mir wieder ein.
Deshalb hat der Brenner natürlich genau gewußt, daß sie mit der Ehe nicht ihre eigene meint. Er hat sie aber auch nicht nur aus reiner Bosheit mißverstanden. Sondern alte Erfahrung, wenn ein Mensch sich selber die Fragen stellt, kommt immer eine Lüge als Antwort.
Das Fräulein Schuh hat sich aber nicht so schnell den Wind aus den Segeln nehmen lassen. Die hat sich jetzt wieder ganz in die schmallippige Vorzimmer-Schreckschraube von damals verwandelt und mit ihrer sonst nur für stinkende Fahrradboten reservierten Stimme gesagt: «Sie haben mir heute gerade noch gefehlt. Was wollen Sie eigentlich?»
«Ich wollte Sie nur fragen, wie die Ehe zwischen der Tochter Ihres Präsidenten und dem Gottlieb Meller so war.»
«Vizepräsident», hat das Fräulein Schuh ihn über ihre Schulter hinweg unterbrochen, weil sie gerade den Aktenschrank aufgeschoben hat. Aber nicht daß du glaubst, sie hat Akten über die Ehe herausgeholt. Sondern hinter dem dicksten Ordner kleines Cointreau-Fläschchen.
«Wenn man sich jahrelang nicht gesehen hat, wird man wohl zuerst einmal kurz anstoßen dürfen, bevor man über das Geschäftliche redet.»
Weil sie hat es jetzt dem Brenner beweisen müssen, daß sie sich nicht von ihm dieselbe Frage stellen läßt, die sie sich vorher schon selber gestellt hat.
War aber vielleicht gar kein Fehler, daß sie zuerst einmal ein Gläschen getrunken haben, weil wenn zwei richtige Sturschädel zusammenkommen, Alkohol oft die einzige Rettung. Überhaupt muß ich sagen, ohne Alkohol Welt wahrscheinlich schon längst ausgestorben. Da soll man nicht immer so kleinlich
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