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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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musikalisch gebildet, die hat so was natürlich gut imitieren können, sprich Gehör wichtiger als Stimme.
    Für solche Überlegungen hat er aber jetzt sowieso keine Zeit mehr gehabt. Er hat sich beeilen müssen, weil in ein paar Stunden schon die Aufführung und vorher noch irgendwo einen Anzug organisieren.
    Aber soviel kann ich jetzt schon sagen: Wie einfach der Brenner dann bei der Vorpremiere Kontakt zur Präsidententochter geknüpft hat, das hat ihn selber überrascht. Für die zwei Leute, die es dann an den folgenden Tagen erwischt hat, war das natürlich trotzdem a – f – d – h.
     

5
    Die meisten Opern haben vorne ein Stück, wo noch nicht gesungen wird. Das dauert oft allein schon ziemlich lange, und der Brenner hat sich gewundert, wie gut man bei so einer Berieselung nachdenken kann. Weil in so einer Musik steckt ja soviel raffinierte Komposition drinnen, daß du gedanklich angesteckt wirst und automatisch auch besser mit den Gedanken bist.
    Jetzt ist der Brenner alles noch einmal durchgegangen: Ob an dem Gerücht was dran ist, daß der Bischofskandidat Schorn damals den Gottlieb ein bißchen gedingst hat. Das ist mein Auftrag. Ob es wirklich der Obdachlose war, der den Gottlieb in den Tischfußballtisch gesteckt hat. Das ist nicht mein Auftrag. Wenn ich mit der Frau neben mir in der Pause ins Gespräch kommen könnte. Das wäre gut. Aber wie? Das ist die Frage.
    Du siehst schon, das Rhythmische von den Gedanken. Das ist von der Musik gekommen. Weil Rhythmus immer ansteckend, und sogar sein Atem hat diesen wunderbaren ruhigen Rhythmus angenommen.
    Aufgewacht ist er dann aber nicht, weil sie mit dem Singen angefangen haben, quasi Sopranschock. Aufgewacht ist er erst, wie einem Festspielgast der Digitalwecker abgegangen ist. Aber glaubst du, der hätte ihn abgestellt? Nicht und nicht! Bis sogar der Brenner aufgewacht ist. Dann natürlich peinlich bis dort hinaus.
    «Entschuldigung», hat der Brenner geflüstert, wie er bemerkt hat, daß er ein bißchen auf der Schulter von der Witwe neben ihm eingeschlafen ist.
    Ich sage, so etwas kann vorkommen, Zug, Theater, Oper, daß man ein bißchen auf der Schulter von einem fremden Menschen einnickt. Und die Witwe war auch gar nicht böse. Eine große, vielleicht dreißigjährige Frau mit einer netten Bubenfrisur und einem sympathischen Lächeln, hat der Brenner sich gedacht. Weil sie hat ihn freundlich angelächelt, wie sie geflüstert hat: «Machen Sie lieber Ihre Uhr aus, bevor hier noch jemand den Blutrausch kriegt.»
    Weil von einer fremden Uhr wäre er ja wahrscheinlich gar nicht aufgewacht. Aber auf die eigene bist du eingestellt, das alarmiert dich im tiefsten Schlaf.
    Natürlich ist das ein bißchen eine unangenehme Situation für den Brenner gewesen. Aber im Leben immer wieder interessant, daß eine Niederlage sich im nachhinein oft als ein Volltreffer erweist. Wo man hinterher zugeben muß, siehst du, wenn mir nicht Haus und Hof abgebrannt wären, wenn ich nicht meine gutbezahlte Stelle und meine wunderschöne Frau verloren hätte, dann hätte ich dieses hochinteressante Kreuzworträtsel wahrscheinlich gar nie aus der Mülltonne gefischt.
    Und beim Brenner jetzt auch wieder typisch, hat sich aus seinem peinlichen Einschlafen heraus das Problem, wie er die Witwe in der Pause anreden soll, ganz von selbst erledigt. Weil die Witwe hat im Hinausgehen ihn angeredet.
    «Die Musik scheint Sie ja nicht gerade zu fesseln», hat sie ihr sympathisches Lächeln gelächelt. Sonst war sie gar nicht besonders attraktiv, ein bißchen groß für den Brenner, ein bißchen teigig im Gesicht, ein bißchen hölzern in den Bewegungen, aber daß es so was gibt, das Lächeln hat sie doch attraktiv gemacht. Aber nicht daß du glaubst, Tochter vom Festspielvize, daher erster Zahnarztbesuch schon drei Tage nach der Geburt und dann viel zu viele Zähne wie die Amerikaner oder gar die Volksmusikanten mit ihrer ewigen Kiefersperre. Sondern wirklich ein schönes, sympathisches Lächeln, wie man es heute selten findet.
    «Kommt auf die Musik an», hat der Brenner gesagt, während er im Hinauswurschteln aus der Sitzreihe immer noch geklatscht hat, praktisch Wiedergutmachung. Wenn zum Beispiel früher der Jimi Hendrix in Puntigam mit den Zähnen Gitarre gespielt hat, der Brenner immer dabei. Er war bestimmt kein besonders musikalischer Mensch, rein vom dings her gesehen, aber beim Jimi Hendrix hat er sogar Feinheiten unterscheiden können. Der Brenner hat immer gesagt, den frühen

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