Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
Vom Netzwerk:
der Brenner gedacht, wie diese Witwe zaubern und lächeln kann. Sogar dann, wenn ihr überhaupt nicht nach Lächeln zumute ist. «Und dafür hat Ihr Mann einen Beweis gefunden?»
    In dem Moment hat es leider geklingelt, und ob du es glaubst oder nicht: im Festspielhaus genau die gleiche Klingel wie im Marianum. Und sie hat dem Brenner den Traum zerstört, daß die Witwe ihm jetzt von diesem Beweis erzählt. Weil die hat es auf einmal furchtbar eilig gehabt, damit sie ja von der zweiten Opernhälfte keinen einzigen Ton versäumt.
    Jetzt natürlich der Brenner so neugierig, von Schlaf keine Rede mehr. Bis zum Ende der Vorstellung hat er öfter auf die Digitaluhr geschaut als in den letzten drei Jahren zusammen.
    Aber nach dem Ende hat ihm die Witwe immer noch nichts verraten. Weil am nächsten Abend hat sie im Haus ihres Vaters eine Wohltätigkeitsparty geben müssen, jahrelange Tradition, und die hat sie trotz des Trauerfalls unmöglich absagen können. Jetzt hat sie noch ganz schnell zum Tenor in die Garderobe müssen, damit der ja morgen kommt, weil ohne den Tenor Wohltätigkeit nur halbe Sache.
    Aber der Brenner ist einfach neben ihr hergegangen, das kennst du bestimmt, wenn man spazierengeht und auf einmal geht ein wildfremder Hund neben dir her, weil er dich aus irgendeinem Grund für seinen Besitzer hält. Neben der Präsidententochter ist der Brenner problemlos überall durchgelassen worden, und auf einmal sind sie vor der Garderobe des weltberühmten Startenors gestanden.
    Der Brenner hat sich gewundert, daß es hinter der Bühne ganz ähnlich ausgesehen hat wie im Keller des Marianums. Und eben die Klingel, die dauernd abgegangen ist, auch genau gleich. Jetzt hat der Brenner schon ein bißchen spinnen angefangen, weil während er darauf gewartet hat, daß die Witwe aus der Garderobe des Startenors zurückkommt, ist ein asiatisches Mädchen aus der Nachbargarderobe gehuscht, und er hätte geschworen, daß er die exotische Schönheit noch vor ein paar Tagen im Marianum den Boden aufwischen gesehen hat.
    Kurz darauf war auch die Witwe wieder da und hat den Brenner gefragt, ob er sie auf dem Heimweg begleiten will. Weil die Villa von ihrem Vater ja ganz vorne auf dem Kapuzinerberg, Festungsblick praktisch Postkarte, und das Marianum ganz hinten im Kapuzinerbergschatten, da hat er gar keinen großen Umweg machen müssen. Und die Witwe ist in der Nacht sowieso nicht so gern allein gegangen, weil in der Nacht die Stadtberge schon immer ein bißchen gespenstisch, da rauschen die alten Bäume oft so, daß man glauben könnte, man ist gar nicht mehr mitten in der Stadt, sondern quasi Brunnen vor dem Tore, wo die Seelen der Selbstmörder und Mordopfer ein bißchen ihren Rambazamba machen.
    Aber nicht daß du glaubst, die Witwe hat ihm dann am Heimweg gleich von dem Beweis erzählt, den ihr Mann angeblich gefunden hat. Zuerst hat sie unbedingt noch einmal in der Wunde vom Brenner rühren müssen, sprich: Obwohl sie die steile Stiege auf den Kapuzinerberg hinaufgeschnauft sind, hat sie genug Luft gehabt, um noch einmal die Digitaluhr vom Brenner zu erwähnen, die ihm seine Kollegen nach neunzehn Jahren Polizei zum Abschied geschenkt haben. Weil da haben alle ein bißchen zusammengelegt, der eine drei Schilling, der andere fünf Schilling, je nach Sympathie, und ist eine schöne Digitaluhr zusammengekommen, aber leider ausgerechnet mitten in der Oper hat sie ihre Weckfunktion demonstrieren müssen.
    «Dieses japanische Klingelzeug ist eine Pest», hat der Brenner gemurrt.
    «Das ist die Revanche der Japaner für die Millionen von japanischen Musikstudenten, die sie herüberschicken, damit sie unsere Musik spielen lernen. Wir schicken niemanden hinüber, weil wir uns nicht für die japanische Musik interessieren.»
    «Darum schicken sie uns musizierende Geräte herüber», hat der Brenner geschnauft.
    «Womöglich klingen für die Japaner diese Piepser alle verschieden, und nur wir können sie nicht unterscheiden.»
    «So wie wir ja die Japaner auch nicht unterscheiden können. Gerade vorher ist eine Asiatin aus der Garderobe gekommen, wo ich gewettet hätte, daß ich sie kenne.»
    «Mir kommen sie auch immer bekannt vor. Wahrscheinlich können sie uns auch nicht unterscheiden. Womöglich klingen auch unsere Opern für sie alle gleich.»
    «Was das betrifft, bin ich Japaner», hat der Brenner zugeben müssen.
    «Aber sonst sind Sie eher ein Schlitzohr als ein Schlitzauge», hat die Witwe gelächelt. Sie sind zwar jetzt

Weitere Kostenlose Bücher