Silentium
ziemlich weit von der nächsten Laterne entfernt gestanden, aber ihre Lippen waren so dunkel geschminkt, daß die Zähne sogar noch in der Finsternis aufgeblitzt sind.
«Wenn ich als Polizist zu einem Asiaten Schlitzauge gesagt hätte, hätte mir schon am nächsten Tag
amnesty international
die Daumenschrauben angesetzt.»
«Ich hab ja auch Schlitzohr zu Ihnen gesagt. Wie Sie das mit dem Alles für den Hugo herausgefunden haben», hat sie anerkennend gesagt und ist stehengeblieben. «Wenn das mein Vater wüßte!»
«Mich wundert, daß Sie das so amüsiert. Wenn man bedenkt, daß Ihr Vater deshalb nicht mehr mit Ihrem Mann geredet hat.»
Die Witwe hat gelacht, gelacht, gelacht. Sie ist immer schneller weitergegangen und hat immer mehr gelacht. Oder sagen wir einmal so, sie hat geweint.
Aber natürlich, wenn du am nächsten Tag Gäste erwartest, kannst du dir keine verheulten Augen leisten. Jetzt hat sich die Witwe sofort wieder beruhigt. Das ist ja bei den einfacheren Menschen oft das Problem, sie geben keine Empfänge, darum können sie wegen jedem Muh oder Mäh ein Leben lang beleidigt sein, Versöhnung ausgeschlossen. So etwas kann sich ein Geschäftsmann ja gar nicht leisten, der muß immer auf den Schilling Rücksicht nehmen.
Nur zur Erklärung, warum sich die Witwe zur Überraschung vom Brenner so schnell wieder unter Kontrolle gehabt hat, weil eben vollkommen anderes Milieu. Noch dazu ist sie ja fast aus einem Diplomatenhaushalt gekommen, weil ihr Vater nicht nur Generalimporteur und Festspielvize, sondern noch dazu Honorarkonsul von, von, von, irgendeine afrikanische Sache. Aber die benennen da unten ihre Länder ja alle zwei Monate um, und der Honorarkonsul oft das einzige Konstante, wo man sagt, das Land ist schon fünfmal ausradiert worden, und wenn sie nicht in Salzburg ihren Honorarkonsul mit der Originalurkunde hätten, dann überhaupt keine Identität mehr für den Negerstaat.
«Sie glauben doch nicht im Ernst, daß mein Vater wegen dieser lustigen Hugo-Geschichte so böse war. Deshalb war er höchstens kurz ein bißchen verschnupft.» Sie ist wieder weiter hinaufgegangen, aber nach ein paar Stufen schon wieder stehengeblieben: «Jemand hat die Adressenkartei kopiert und an die Festspiele in Baden-Baden verkauft.»
Jetzt mußt du wissen, Adressen sind in der heutigen Geschäftswelt das Um und Auf. Jeder ein Geheimniskrämer, der Angst hat, daß ihm wer einen Werbeprospekt in seinen Briefkasten schicken könnte. Weil je geheimer deine Adresse, um so mehr zählst du in dieser Welt. Und eine Veranstaltung wie Festspiele, wo du den Millionären das Gefühl gibst, daß sie ein bißchen unter sich sind, besteht praktisch nur aus den Adressen.
Das ist der größte Schatz, wer die besten Adressen hat, der hat die besten Festspiele, weil bei den Adressen hast du ja nicht nur die Postanschrift dabei, da hast du im Idealfall auch das Geburtsdatum, und das mußt du dir vorstellen wie beim Friseur, der schickt dir dann an deinem Geburtstag eine nette Geburtstagskarte oder gar eine kleine Probepackung, du freust dich darüber und gehst das nächste Jahr auch wieder zu diesem Friseur. Und gerade in dem Moment, wo du dir überlegst, ob du nicht den Friseur wechseln sollst, weil schon wieder ein paar Haare weniger und der Friseur ist schuld, kommt schon wieder die Geburtstagskarte, eine kleine Aufmerksamkeit, die dich bei der Stange hält.
Und seien wir uns ehrlich, wieso soll das bei den Festspielen anders sein, der Stammgast kriegt ebenfalls zum Geburtstag seine kleine Aufmerksamkeit, eine Karte, eine Mozartkugel, vielleicht eine kleine Probepackung mit der denkenden Creme für die Frau über dreißig, weil natürlich, der Unternehmer hat zwar eine Frau, die dreißig Jahre jünger ist als er, aber er wird älter, wird sie leider auch älter, dann ist er schon über sechzig, wird sie über dreißig, freut sie sich über die denkende Creme zum Geburtstag. Und so bleiben sie doch bei den Salzburger Festspielen, obwohl sie vielleicht schon im Rotary Club ein bißchen diskutiert haben, ob sie nicht eine andere Stadt mit anderen Festspielen beehren sollen, daß man sagt, jetzt sind das die besten Festspiele.
Aber siehst du, das ist eben die Tradition, weil die neueren Festspiele haben nicht die über Generationen aufgebaute Adressenliste. Und wenn vielleicht Adressenliste, dann noch lange nicht die Geburtstagsliste, und wenn schon Geburtstagsliste, dann nicht mit den über Jahrzehnte gesammelten
Weitere Kostenlose Bücher