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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Jimi erkennst du am Gitarrenklang, und den späten Jimi erkennst du an der Stimme. Weil natürlich, das Drogenproblem hat die Stimme ein bißchen verändert. In der Polizeischule hat der Brenner solche Sachen ganz gern von sich gegeben, weil reine Männergruppe, da kannst du dich mit Meinungen ein bißchen in den Vordergrund stellen.
    Und ein Kollege von ihm, eigentlich muß ich sagen bester Freund in der Polizeischule, der Irrsiegler, hat sich sogar so für den Jimi Hendrix begeistert, daß er selber angefangen hat Gitarre lernen. Der Brenner hat sich noch genau an seine nervtötenden Übungsakkorde erinnert. Erste Woche nur E-Dur-Akkord, zweite Woche nur C-Dur-Akkord, dritte Woche nur A-Dur-Akkord, und vierte Woche ist er dann mit dem Motorrad tödlich verunglückt.
    Aber eines muß ich ganz ehrlich zugeben. Manchmal hat man es dem Brenner schon angemerkt, daß er neunzehn Jahre lang Polizist war. Weil schon ein bißchen unsensibel, daß er der Tochter vom Festspielvize brühwarm diese Geschichte vom Irrsieglerischen Gitarrenunterricht erzählt hat. Wo die doch gerade ihren Mann verloren hat. Und die Witwe noch dazu von der Musik komplett aufgeweicht, der sind sofort die Tränen in den Augen gestanden.
    «Tut mir leid», hat der Brenner kleinlaut gemurmelt.
    Die Witwe hat immer noch tapfer gegen die Tränen gekämpft und leise herausgewürgt: «Sagen Sie irgendwas Blödes!»
    «Hab ich doch gerade.»
    «Ja, allerdings. Aber ich will jetzt nicht hier zu heulen anfangen. Sagen Sie irgendwas!»
    «Wissen Sie, woraus man den Leberkäse macht?» hat der Brenner sie gefragt.
    Die Witwe hat den Kopf geschüttelt, und dabei hat sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel gelöst.
    «Aus den Resten der Knackwurst. Und wissen Sie, woraus die Knackwurst gemacht wird?»
    Die Witwe hat wieder den Kopf geschüttelt, aber die blöde Fragerei vom Brenner jetzt schon ein bißchen Wirkung, weil diesmal keine Träne.
    «Die Knacker», hat der Brenner erklärt, «wird wieder aus den Resten vom Leberkäse gemacht. Und aus den Knackerresten wird dann wieder der Leberkäse, und aus den Leberkäseresten wieder die Knacker und so weiter, das ist eine Unendlichkeit.»
    «Jetzt geht’s schon wieder», hat die Witwe aufgeatmet. «Wie kommen Sie denn auf so einen Blödsinn?»
    «Die Musik», hat der Brenner gesagt. «Da kommen die Themen auch immer wieder zurück. Einmal a – f – d – h so gekämmt, dann a – f – d – h wieder so gekämmt.»
    «Alles für den Hugo», hat die Witwe gelächelt. «Sie sind also doch der Mann, den mir das Fräulein Schuh angekündigt hat.»
    «Brenner.»
    Sie hat ihm aber nicht die Hand gegeben, vielleicht nur, weil ihre Hände schon mit einem Glas und einer Zigarette besetzt waren. Vielleicht aber auch, weil Händeschütteln in ihrer Familie in letzter Zeit, quasi negative Tendenz.
    «Ich habe einen Auftrag vom Regens des Marianums.»
    «Daß mein Mann ermordet wurde, wirft wohl kein besonders gutes Licht auf den Monsignore Schorn. Und Sie sollen seine Unschuld beweisen?»
    «Oder seine Schuld.»
    «Das wäre einfacher.»
    «Wieso?»
    «Logisch betrachtet kann man Unschuld nicht beweisen. Die Nicht-Existenz von etwas kann man nie endgültig beweisen. Theoretisch beweisen können Sie nur seine Schuld.»
    «Aber ich kann die Existenz der Unschuld beweisen», hat der Brenner gesagt. Und da sieht man wieder, wie die Kultur ansteckend wirkt, weil brauchst du einen Brenner nur in den Pausenraum von einem weltberühmten Opernhaus stellen, und schon führt er auch diese hochgradigen Gespräche.
    «Un-Schuld ist eine versteckte Verneinung», hat ihm die Witwe erklärt. «Für Nicht-Schuld. Und die können Sie nicht beweisen. Rein theoretisch.»
    Und ich muß auch sagen, die Frauen haben mit der Logik in letzter Zeit gewaltig aufgeholt.
    Aber der Brenner wieder besser mit den Tricks: «Theoretisch», hat er wiederholt. «Und praktisch?»
    «Praktisch wundert es mich, daß die Polizei den Fall so schnell abgeschlossen hat. Sie wollten gar nichts davon hören, daß mein Mann am Tag vor seiner Ermordung überall lauthals herumposaunt hat, daß er einen Beweis für die Unzucht im Marianum gefunden hat.»
    «Un-Zucht?» hat der Brenner die Stirn gerunzelt. «Hätten wir da nicht wieder einen unmöglichen Beweis für etwas Negatives?»
    «Sagen Sie doch einfach Kindesmißbrauch durch den Monsignore Schorn dazu, wenn Ihnen Unzucht zu negativ klingt.»
    «Aha. Jetzt haben Sie das ‹Un› weggezaubert.» Wunderbar, hat sich

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