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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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getan hat.
    Jetzt allgemeine Überlegung: Was tut eigentlich der Mensch, wenn er nichts tut? Weil absolutes Nichtstun ist ja streng betrachtet unmöglich. Irgend etwas tut der Mensch immer, auch wenn er nichts tut. Das ist genauso kompliziert wie mit dem Beweisen der Nichtschuld, wo die Witwe dem Brenner erklärt hat, daß das streng betrachtet nicht geht.
    Ja siehst du, darüber hat der Brenner nachgedacht. Er ist am Salzachufer gestanden und hat auf das Wasser hinuntergestarrt, das in seiner berühmten grünen Schädelwehfarbe in diesem berühmten trägen Schädelwehtempo Richtung Abgrund spaziert ist, und hat geglaubt, daß er nichts tut. Aber in Wirklichkeit hat er darüber nachgedacht, was ihm die Witwe da über die Nichtschuld erklärt hat. Daß man die nicht beweisen kann. Warum eigentlich nicht, hat der Brenner sich gefragt. Natürlich postwendend verschärftes Strafkopfweh für diese unnötige Frage. Das war die einzige Antwort, die seinem Kopf dazu eingefallen ist.
    Für die Spaziergänger am Salzachufer hat es vielleicht ein bißchen so ausgesehen, als würde der Mann sich überlegen, ob er hineinhüpfen soll, praktisch einzige Möglichkeit, wenn du heute wirkliches Nichtstun anstrebst. Aber vorher das Springen ist erst recht wieder Tun, das ist wie mit den Banken, egal wie du rechnest, als kleiner Sparer verlierst du immer.
    War übrigens gar nicht weit von der Brücke, wo er als Polizist einmal einen Küchensessel wegräumen hat müssen. Eine alte Frau hat sich den Sessel mitgenommen, damit sie leichter über das Geländer gekommen ist, jetzt große Frage für die Polizei, was tun wir mit dem Küchensessel, das geht immer weiter mit dem Tun.
    Aber so nahe wie der Brenner an diesem Nachmittag ist bestimmt noch nicht oft ein Mensch an das absolute Nichtstun herangekommen. Weil er ist mit seinem Salzburger Föhnschädel an der Salzach gestanden und hat über die ZAMG nachgedacht, sprich: Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik.
    Jetzt warum ausgerechnet über die Zentralanstalt? Paß auf, was ich dir sage: Salzburg immer Traditionspflege, alles Altstadt und ding, und da haben sie sogar beim Wetterbericht eine sehr schöne Traditionspflege. Ob du es glaubst oder nicht, an dem Brückenpfeiler, vor dem der Brenner gestanden ist, war eine Marmortafel montiert mit einem Wetterbericht von damals. Aber das muß schon wirklich vor Jahrhunderten gewesen sein, weil da haben die Wetteransager ihren Bericht noch gereimt, und ich muß ehrlich sagen, das war schon noch was anderes. Allein schon die Schlagzeile.
    Vorstadt im Föhn.
    Das mußt du dir einmal so richtig auf der Zunge zergehen lassen. Da spürt man förmlich den Respekt, den sie damals noch vor dem Wetter gehabt haben. Und in dieser Tonart ist es auf der Marmortafel weitergegangen.
    Am Abend liegt die Stätte öd und braun,
    die Luft von gräulichem Gestank durchzogen.
    Mein lieber Schwan, wenn sie heute so ohne Fröhlichkeit den Smogalarm ansagen würden, sofort Massenselbstmord. Kein Wunder, daß dem Brenner bei diesem Wetterbericht der ehemalige Wetteransager in den Sinn gekommen ist, der den Gottlieb in den Tischfußballtisch gesteckt und sich dann in der Dusche erhängt hat. Er hat kurz überlegt, ob der Wetteransager womöglich noch leben würde, wenn man ihn beruflich nicht immer zur fröhlichen Ansage gezwungen hätte, sondern eben manchmal auch mehr auf der düsteren Seite, wie sie es früher gemacht haben.
    Weil ich muß schon sagen, früher haben die keinen Genierer gekannt. Zeile um Zeile ist das noch deprimierender geworden. Aber der Brenner hat die Zeilen immer wieder gelesen, weil irgendwas mußt du ja tun, wenn du Schädelweh hast, du kannst nicht nichts tun. Und wenn du im Kopf einmal den Schmerz hast, dann am ehesten noch Linderung, wenn du etwas anschaust, das auch einen gewissen Schmerz zeigt.
    Nur die Abkürzung unter dem damaligen Wetterbericht hat ihm keine Ruhe gelassen. Das muß die Abkürzung für die damalige Zentralanstalt gewesen sein, und der Brenner hat sich bemüht, dahinterzukommen, wofür die Abkürzung stehen könnte. Aber schon interessant, daß sie damals auch schon diese Sucht nach Abkürzungen gehabt haben, vielleicht einfach, weil man dann den Wetterbericht doch schneller in den Marmor gemeißelt gehabt hat.
    Temperatur-, Regen-Ansage, Kaiserliche Luftdruckmessung,
hat der Brenner herumprobiert, aber er ist mit der Abkürzung auf keinen richtig grünen Zweig gekommen, und für das Kopfweh solche Überlegungen

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