Silentium
Küchenmädchens ein bißchen der Hand zuwinken, die der Sebastian Franz seinerzeit aus dem Tischfußballtisch gezogen hat.
Bier in dem Sinn hätte er jetzt sowieso keines trinken wollen. Sondern große Frage, wie er das Gegenteil verhindern soll. Und große Frage, wo der René war. Und große Frage, ob der René das frühere Küchenmädchen Mary so zugerichtet hat. Aber der Brenner hat sich diese Fragen nicht lange gestellt. Weil in so einer Situation macht man sich ja oft die unsinnigsten Gedanken. Jetzt der Brenner große Frage, wie das Wetter wird.
Oder sagen wir einmal so, der Wetterbericht von der Marmortafel hat ihm keine Ruhe gelassen:
Und ein Kanal speit plötzlich feistes Blut
und langsam kriecht die Röte durch die Flut.
Mein lieber Schwan. Der Jimi Hendrix ist an seinem eigenen Erbrochenen erstickt. Gar keine seltene Todesursache bei Bewußtlosen. Aber der Brenner ist ja bei vollem Bewußtsein zwischen den Eingeweiden gekniet. Also an und für sich eine gute Stellung für einen Erbrechenden. Jetzt wie gibt es so was, daß er trotzdem keine Luft kriegt? Er kniet da und versucht einzuatmen, aber nichts zu machen, es kommt keine Luft herein.
Jetzt natürlich Panik, ja was glaubst du, und auf und hinaus in den Garten. Aber wie er die Haustür aufreißt, immer noch keine Luft. Und wie er schon den ersten Schritt unter das Vordach hinaus macht, immer noch keine Luft.
Erst wie der Wolkenbruch mit vollem Karacho auf seinen Kopf heruntergescheppert ist, hat sich der Krampf gelöst, und die Luft ist in den Brenner hineingedonnert, als hätte der Blitz in den Garten der Mary Ogusake eingeschlagen.
Er hat noch minutenlang geschnauft wie ein Marathonläufer, dem im Ziel ein Mikrofon unter die Nase gehalten wird, und statt zu jubeln japst er nur hilflos. Nur langsam ist er wieder zu Atem gekommen, hat sich aber immer noch nicht vor dem Wolkenbruch in Sicherheit gebracht. Und wie er dann schon längst wieder vollkommen normal bei Atem war, ist er immer noch dagestanden, als hätte ihn der Schlag getroffen.
Er ist einfach mitten im Garten der Mary Ogusake stehengeblieben, praktisch Freiluftdusche. Weil was ich dir vorher mit dem Tun erklärt habe: Er hat nicht gewußt, was er tun soll. Jetzt hat er darauf gewartet, daß vielleicht einmal der liebe Gott etwas tut und den Brenner im Regen auflöst wie ein unschuldiges Zuckerstück.
Aber nichts da. Er hat sich nicht aufgelöst. Und weil er sich nicht aufgelöst hat, und weil er irgendwas tun hat müssen, und weil er sich nicht in das Haus zurückgetraut hat, und weil er sich nicht aus dem Garten hinausgetraut hat, ist er einfach unter der Dusche stehengeblieben, und weil der Mensch dazu neigt, daß er unter der Dusche singt oder pfeift, hat er leise ein bißchen vor sich hin gepfiffen.
Ich glaube aber fast, daß er auch ein bißchen aus Angst gepfiffen hat. Oder so, wie man pfeift, um Gedanken zu vertreiben. Weil er hat jetzt unbedingt den Gedanken vertreiben müssen, daß es womöglich der René war, der die Mary so zugerichtet hat. Und ich tendiere fast dazu, daß ihm eigentlich wegen dieser Angst die Luft so brutal weggeblieben ist. Weil Ermordete hätte er an und für sich in neunzehn Polizeijahren schon genug gesehen.
Aber jetzt wieder genug Luft zum Pfeifen. Und durch den kalten Regen ist er sogar wieder soweit zu Bewußtsein gekommen, daß ihm aufgefallen ist, was er da gepfiffen hat. Weil eben diese alte Geschichte beim Brenner, daß er oft eine Melodie gepfiffen hat, wenn sein Unbewußtes versucht hat, ihm einen kleinen Hinweis zuzuflüstern. Manchmal schon unglaublich, was ihm da so über die Lippen gekommen ist. Weil diese alte Rocknummer hat er bestimmt seit dreißig Jahren vollkommen vergessen gehabt.
I’m crazy about girls!
I’m crazy about women!
Aber so ist es mit dem Unbewußten. Es gibt dir nur einen Hinweis, solange du ihn nicht bemerkst, und kaum daß du einmal aufmerksam bist, Hinweis zum Vergessen. Weil was soll das für ein Hinweis sein, hat sich der Brenner gefragt.
I’m crazy about girls!
I’m crazy about women!
Obwohl er sich über den unnützen Hinweis geärgert hat, hat er munter weiter pfeifen müssen. Daß jemand ein bißchen
crazy
sein muß, wenn er eine Frau so zurichtet, hätte er ohne großzügige Hilfe durch das Unbewußte gerade noch erraten. Und ich muß auch ehrlich sagen, Unbewußtes oft überschätzt, weil oft nur ein Wichtigtuer, der nicht viel mehr weiß als jeder andere auch.
Aber die Melodie nicht
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