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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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dann die Pettingsache, die Ogusakesache, dann der Heimweg über den föhngebeutelten Kapuzinerberg, dann hinein in die unsympathische Internatsburg, hinauf in das Hilfspräfektenzimmer, und einzige Zuflucht die Schachtel mit den rosaroten Wachskügelchen. Ist natürlich schon ein komisches Gefühl, wenn du todmüde die Schachtel aufmachst, und von den zwanzig Kügelchen ist kein einziges mehr drinnen.
    Komisches Gefühl, ja, aber deshalb gleich den Nachtportier wecken, nein.
    Ich muß dazu sagen, die Kügelchen waren nicht mehr drinnen, aber leer war die Schachtel trotzdem nicht. Weil jemand hat die rosaroten Wachskügelchen in ein wunderschönes, vollkommen naturalistisches menschliches Ohr verwandelt.
    Das Ohr hat so genau in die Ohropaxschachtel gepaßt wie in einen Maßsarg. Und es hat so echt ausgesehen, daß es den Brenner nicht gewundert hätte, wenn es noch warm gewesen wäre. Vielleicht hat er nur deshalb nicht vor Schreck aufgeschrien. Aus Angst, daß ihn das Ohr hört. So rosarot und lebendig hat es aus seinem Etui geleuchtet. Van Gogh nichts dagegen.
     

9
    Bei der Wetteransage im Fernsehen hat sich auch viel verändert im Lauf der Jahre. Früher waren sie mit den Tricks noch nicht so gut, und die Ansager auch noch ein bißchen steif. Heute natürlich Computertricks eins a, da erheben sich die Berge so dreidimensional, daß man oft beobachten kann, wie die Ansagerin sich streckt, damit sie nicht gegen die Computerberge ins Hintertreffen kommt. Und die Wolken und der Schnee, alles wunderbar, ich muß ehrlich sagen, Wetter schau ich mir immer gern an, und bei den Ansagerinnen werden sie bestimmt auch noch Verbesserungen einführen, daß die nicht immer so eine schnarrende Stimme haben.
    Links unten haben sie im Österreicher immer so eine Abkürzung eingeblendet, da steht ganz unauffällig ZAMG, und die wenigsten Leute wissen, was das bedeutet. Paß auf: Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Weil Wettervorhersage natürlich hochkomplizierte Sache, das muß ja das Fernsehen auch irgendwoher haben, und dafür gibt es eben die Zentralanstalt, da beobachten sie das den ganzen Tag, die ganze Meteorologie und Geodynamik, Riesenferngläser, ja was glaubst du, dann die Berechnungen, Computer und alles, da steckt ja eine gewaltige Arbeit dahinter, bis am Abend die Blondine bellen kann: In den Bergen leider Kaltfront.
    Jetzt daß es in Salzburg oft regnet, dafür braucht man keinen Wetterbericht, weil reinstes Sprichwort. Aber nur die wenigsten wissen, daß in Salzburg der Regen das gute Wetter ist. Weil Auswahl nicht sehr groß: entweder Regen oder Föhn, und jetzt schon seit Tagen der Regen im Anmarsch, hat der Brenner natürlich Schädelweh gehabt, frage nicht.
    Seit der Party hat er deshalb nicht recht viel unternommen, weil Apotheke Hauptschauplatz. Und bevor du jetzt sagst, der Föhn war gar nicht schuld, sondern die hübsche Notapothekerin, die ihm die Ohropax verkauft hat, kann ich dich beruhigen: Der Brenner wäre am liebsten in eine andere Apotheke gegangen, damit ihn seine Notapothekerin in diesem Zustand nicht sieht. Weil wenn beim Brenner einmal das Schädelweh ausgebrochen ist, hat er immer das Gefühl gehabt, daß ihm ein dreimal so großer Wasserkopf wächst. Und er hat ja von Natur aus schon einen ziemlichen Quadratschädel gehabt, jetzt dreifache Größe besonders unvorteilhaft.
    Gefreut hat es ihn natürlich schon ein bißchen, daß sie sich noch an ihn erinnert hat, weil schnippische Bemerkung: «Ich hoffe, Sie haben nicht von den Ohropax Kopfweh gekriegt.»
    «Jaja, die sind mir in das Hirn gerutscht», hat der Brenner behauptet.
    Die Notapothekerin hat die Augen verdreht. Sie hat ja nicht wissen können, wie nahe sie mit ihrer Diagnose der Wahrheit gekommen ist. Daß die Ohropax, an denen sich der Monsignore Schorn so künstlerisch vergangen hat, dem Brenner wirklich Kopfzerbrechen bereitet haben. Ihm ist sogar vorgekommen, daß das Schädelweh dieses Mal ein bißchen verschoben war. Der Schmerz ein bißchen hinuntergerutscht, ich möchte fast sagen, ungefähr so ein Schmerz, als hätte man ihm das linke Ohr abgeschnitten.
    Ihm ist auch vorgekommen, als würde er besser hören als normal. Als wäre sein Kopf jetzt ganz direkt für Geräusche zugänglich, ohne umständlichen Ohrenfilter, praktisch Loch im Kopf. Jedes vorbeifahrende Auto, jede Stimme, jedes Schnaufen hat ihn verrückt gemacht. Nur damit du verstehst, warum der Brenner an den beiden Tagen nach der Party absolut nichts

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