Silentium
über den van Gogh mit seinem Ohr (zuviel Verzicht), über den Paul Getty mit seinem Ohr (zuviel Gier) und ganz allgemein über das gute Ohr und über das schlechte Ohr. Weil das Ohr ist natürlich eine sehr gute Sache für einen Musiker, da gibt es gar nichts. Aber es kann auch böse sein, das Ohr, wenn der Mensch zu neugierig ist. Und Bibel ganz brutal: Wenn dich dein Ohr ärgert, dann schneid es ab.
«Dann schneid es ab!» hat der Bischofskandidat Schorn mehrmals in seiner Rede ganz schneidig ausgerufen. Weil er hat gesagt, man darf sich nicht irritieren lassen von den Verleumdungen, und wenn die Öffentlichkeit sich über den Wohltätigkeitsgedanken lustig macht, dann muß man sein Ohr vor diesem Gift verschließen. Und der Monsignore Schorn sehr interessante Formulierung: Man soll sein Ohr nicht jedem leihen, weil könnte leicht sein, daß man es nicht mehr zurückkriegt.
Der Brenner hat sich am Heimweg erinnert, daß bei dieser Formulierung die weltberühmten Musiker richtig zusammengezuckt sind. Furchtbare Vorstellung, weil natürlich Gehör wichtiger als Stimme, das hat ja sogar der Brenner von seinem Puntigamer Musiklehrer gewußt. Jetzt wie kommt der Detektiv auf die Idee, daß diese Worte ausgerechnet ihm allein gegolten haben?
Sicher, für einen Detektiv ist das Gehör auch sehr wichtig. Es wird zwar immer viel geredet von der Nase, die ein Detektiv haben muß. Aber ich sage, Gehör wichtiger als Nase! Und Nase war ja wirklich nicht die große Stärke vom Brenner. Aber stundenlang jedem noch so unwichtigen Gewäsch sein Ohr leihen, da war er schon, möchte ich fast sagen, eins a.
Aber trotzdem. Wenn eine Rede vor hundert Musikern vom Gehör handelt, wird man nicht leicht auf die Idee kommen, daß das Thema ausgerechnet dem einzigen Detektiv in der Runde gilt. Und war ja eigentlich gar nie die Art vom Brenner, daß er alles auf sich bezieht, das gar nichts mit ihm zu tun hat. Im Gegenteil, das haben gewisse Partnerinnen in seinem Leben sogar kritisiert, daß er nicht einmal die Dinge auf sich bezogen hat, die ganz eindeutig für ihn bestimmt waren. Jetzt wie kommt er zu der Einbildung, daß der Schorn die ganze Rede nur für ihn ausgetüftelt hat, quasi Warnung, daß er es nicht so gern hat, wenn jemand seiner Vergangenheit das Ohr leiht.
Ich muß es vielleicht noch genauer sagen. Direkt auf dem Heimweg hat der Brenner es noch gar nicht so als Warnung verstanden. Schon komisches Gefühl, aber da hat zuerst vielleicht doch auch der Alkohol und der Föhnsturm und der Fast-Vollmond ein bißchen dazu beigetragen, daß ihn die Schorn-Rede generell so beschäftigt hat.
Und erst wie er dann zwei Stunden nach Mitternacht in sein Hilfspräfektenzimmer gekommen ist, hat er die Warnung verstanden. Wie er seine Ohropax nicht gefunden hat. Oder vielleicht noch nicht einmal da. Vielleicht erst, wie er eine Minute später den Kriegsinvaliden in der Portiersloge aus dem Schlaf geschüttelt hat. Der hat sich natürlich gewundert, daß ihn der Brenner mitten in der Nacht aufweckt, nur um zu fragen, ob in letzter Zeit der Monsignore Schorn einmal im Haus gewesen ist.
«Ja, der kommt öfter einmal zu Besprechungen ins Haus», hat der Portier gegähnt.
«Und wann zuletzt?»
«Gestern abend.»
«Was meinen Sie mit gestern? Heute oder gestern?»
«Gestern, weil wir heute schon morgen haben.»
Der Brenner hat ihn so wütend an den Schultern gerissen, daß der Alte seine Auskunft auf einmal ganz unspitzfindig zusammengebracht hat: «Vor sechs oder sieben Stunden hab ich ihn hinausgehen gesehen.»
«Allein?»
«Ja, allein.»
Und der Brenner war dann auch wieder allein. Weil was hätte er anderes machen sollen, als zurück in sein Zimmer gehen? So richtig wohl hat er sich natürlich nicht gefühlt. Aber nicht daß du glaubst, er hat dann vor Angst nicht schlafen können. Im Gegenteil, er ist auf der Stelle eingeschlafen. Und er hat geschlafen wie bewußtlos. Weil so hat er immer geschlafen, wenn sein Kopf einen Anfall ausgebrütet hat. Wie bewußtlos. Oder sagen wir so. Wie tot.
Vielleicht, daß er sogar gerade wegen der Angst so fest geschlafen hat. Ich möchte fast sagen, wie ein kleines Kind, das besonders fest schläft, weil es von der Angst nichts mehr wissen will.
Jetzt wie kann es so was geben, daß ein gestandenes Mannsbild wie der Brenner sich fürchtet, weil ihm wer seine Ohropax aus der Schachtel genommen hat? Du mußt dich hineinversetzen in einen Menschen, der gerade auf einer schillernden Party war,
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