Silentium
wegzubringen. Geklungen hat es ja mehr, als würde er nur versuchen, die Regenbäche aus seinem Gesicht wegzublasen, damit er ein bißchen atmen kann.
Eine gute Melodie, hat er sich gedacht. Aber kein guter Hinweis. Und er hat überlegt, was er jetzt tun soll. Nichts tun, haben sein Kopf und sein Körper und sein Bewußtes und sein Unbewußtes und seine guten und seine bösen Geister im Chor gerufen, nichts tun, und der Regen ist auf ihn herunter geklatscht und hat überhaupt nicht mehr aufgehört, und langsam ist die Nässe von seinen Schuhen in seine Beine hinauf und von seinem Kopf in seinen Körper hinunter und von seiner Haut in seine Knochen hineingekrochen, und seine Knie haben losgerattert, Nähmaschine Hilfsausdruck.
Und seine Zähne haben seinem Unbewußten den Garaus gemacht, frage nicht. Weil entweder Pfeifen oder Zähneklappern. Beides kann kein Mensch.
10
Jetzt wirst du sagen, der René ist es bestimmt nicht gewesen. Und ich muß auch ganz ehrlich sagen, man will so etwas nicht glauben. Kaum hat man einmal einen kennengelernt, der Glas essen kann, will man ihn nicht gleich wieder hergeben, nur weil vielleicht der leichte Schatten eines Mordverdachts auf ihm liegt.
Die Polizei hat das leider anders gesehen. Die Nachbarn der Dr. Ogusake aus Petting 67 haben die Polizei gerufen, weil da ein Mann schon seit Stunden im strömenden Regen gestanden ist und sich die ganze Zeit keinen Schritt von der Stelle gerührt hat.
«Der Ren-», hat der Brenner gerade noch herausgebracht, weil wenn du mit 40 Grad Körpertemperatur ein «n» sprichst, bleibt natürlich gern die Zunge auf dem Gaumen kleben. Aber dann mit übermenschlicher Anstrengung die Zunge noch einmal vom Gaumen gerissen und laut und deutlich: «Der René.»
«Was für ein René?» hat ihn der bayrische Polizist angefahren.
Und siehst du, das sind eben die Kulturunterschiede. Weil in der österreichischen Polizeischule hat der Brenner gelernt: oberste Verhörregel immer höflich bleiben! Das ist ihnen vor allem vom Tschick-Jack regelrecht eingetrichtert worden. Bevor der Tschick-Jack als Lehrer in die Polizeischule versetzt worden ist, war er jahrzehntelang Spitzen-Verhörbeamter, aber dann
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große Sache daraus gemacht, weil er ein- oder zweimal oder höchstens dreimal auf dem Rücken von einem Verbrecher seine Zigarette ein bißchen ausgedrückt hat, jetzt ab in die Polizeischule.
Und ob du es glaubst oder nicht, die ganze Zeit, wo der Brenner in der Polizeischule war, ist dem Tschick-Jack nie etwas Verbotenes über die Lippen gekommen, sondern immer ausdrücklich betont: Man soll beim Verhör so lange höflich bleiben, solange es nur geht. Und sogar alter Trick: Dem Verdächtigen eine Zigarette anbieten, praktisch Verbrüderung! Und vielleicht sogar, daß seine Kritiker das verwechselt haben, daß er nur wegen dieser höflichen Geste Tschick-Jack geheißen hat, und alles andere nur krankhafte Phantasie!
«Was für ein René!» hat der bayrische Polizist, der leider ohne die Tschick-Jack-Regel ausgebildet worden ist, wieder gebrüllt. Der hat ja den Brenner nicht gekannt, jetzt natürlich erster Gedanke, der Brenner selber ist der Fleischermeister.
«Was! Für! Ein! René!»
Das haben die Polizisten dann selber herausfinden müssen. Weil den Brenner hat das Fieber aufgeheizt, als wäre dem Tschick-Jack vor lauter freundlich lächeln eine glühende Zigarette aus dem Mund gefallen, oder sagen wir so: Die Regentropfen haben sich angefühlt, als wären dem Tschick-Jack alle zeitlebens gerauchten Zigaretten auf einmal aus seinem freundlich lächelnden Mund gefallen und glühend auf den Körper vom Brenner geprasselt.
Aber die deutsche Polizei natürlich ganz tüchtig, die hat sich auch ohne die Antwort vom Brenner sehr schnell ihren Reim gemacht. Weil Computer und alles, haben sie nach ein paar Stunden schon mehr gewußt, als ihnen der Brenner jemals hätte sagen können. Sie haben ja die blutverschmierte Jacke vom René mitten unter den Leichenteilen gefunden, Fingerabdrücke haufenweise, die Nachbarn haben ihn gesehen, und so viele Menschen mit dem Namen René gibt es nicht in der Kartei.
Das hat der Brenner aber alles nicht mehr mitgekriegt. Weil Fieber oft wunderbare Sache. Er hat nicht mitgekriegt, wie ihm ein bayrischer Tschick-Jack im Polizeigefängnis von Freilassing herausgelockt hat, daß er für das Marianum arbeitet. Er hat nicht mitgekriegt, wie der Sportpräfekt Fitz aufgetaucht ist und ihn heimgebracht
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