Silentium
anderen schreiben. Ein Bischofskandidat hat ja auch nicht die Zeit, daß er sich jede Rede selber schreibt, und da haben sich eben Gestalten wie der Präfekt Fitz ein bißchen was dazuverdient. Jetzt natürlich große Frage, wer von den beiden dem Brenner das Ohr hineingelegt hat.
Vielleicht war auch das ein bißchen mit der Grund, daß der Brenner überhaupt nichts gehört hat in seinem Zustand. Außer ununterbrochen seinen Ohrwurm, sprich:
Crazy about girls, crazy about women.
Aber das hat die Mutter Oberin natürlich auch nicht wissen können.
Totale Eskalation aber erst am fünften oder sechsten Tag, wie der Brenner einmal sein durchgeschwitztes Pyjamahemd abgestreift und mit nacktem Oberkörper weitergeschlafen hat. Die Kreuzzugssanitäterin hat einen Anfall gekriegt, frage nicht.
«Wenn wir daliegen wie ein Fleischmarkt im Badeanzug, werden wir bis zum Jüngsten Tag nicht gesund!» hat sie den Patienten angezischt, der sich in Schweigen gehüllt hat statt in einen ordentlichen Pyjama.
Ein Fleischmarkt im Badeanzug! Ich tendiere fast dazu, daß die Klosterschwester das wirklich gesagt hat, weil nicht leicht, daß so was ein normaler Mensch träumen kann. Dürfte natürlich schon der spezielle Oberkörper vom Brenner auch eine gewisse Rolle gespielt haben. Nicht unnatürlich muskulös wie der René, will ich gar nicht übertreiben. Aber er hat genau den gleichen Oberkörper wie sein Großvater gehabt, dem bei jedem Hemd immer die obersten zwei Knöpfe gefehlt haben. Nur damit du verstehst, warum die Mutter Oberin gar so aggressiv reagiert hat. Weil oberstes Schwesternprinzip, der Teufel schläft nicht.
Wenn du einen Menschen mit Schweigeschock behandelst, sind solche aggressiven Äußerungen an und für sich das Schlechteste, was du machen kannst. Da würde im Grunde ebenfalls die alte Tschick-Jack-Regel gelten. Weil ein Patient ist ja auch immer ein bißchen ein Verdächtiger. Und eine aggressive Äußerung, und er verkriecht sich schon wieder in seiner eigenen Welt, Schnecke nichts dagegen.
Aber beim Brenner Heilungserfolg postwendend. Irgendwie muß sich der Fleischmarkt im Badeanzug bis in sein Hirn durchgesprochen haben, weil er auf einmal laut herausgelacht hat.
«Uns wird das Lachen schon noch vergehen!» hat die Mutter Oberin wütend gezischt und ist hinaus bei der Tür. Ich muß sagen, kann ich sogar verstehen, weil sie hat sich ausgelacht gefühlt. Zuerst eine Woche lang kein Wort, und dann von einem Brust-Eigentümer ausgelacht werden, auch kein Vergnügen. Eigentlich tragisches Mißverständnis, statt daß sie es als ihren Erfolg angesehen hätte. Weil mit diesem Lachanfall ist das Hirn vom Brenner dann langsam wieder angesprungen.
Aber interessant. Der Brenner im Grunde schon eine sehr gesunde Natur. Er muß in der einen mehr oder weniger bewußtlosen Woche das furchtbare Erlebnis in Petting so gut verdaut haben, daß er beim Aufwachen schon wieder ganz andere Sorgen gehabt hat. Weil die Atmosphäre und die Langeweile im Krankentrakt bei vollem Bewußtsein fast unerträglich. Nicht einmal eine Zeitung oder eine normale Zeitschrift ist hier aufzutreiben gewesen, nur Missionszeitschriften und Heiligenkalender und Meditationsbücher, wenn du mich fragst, kannst du damit einen Gesunden so weit bringen, daß ihn die Malaria dahinrafft.
Umgekehrt für einen Detektiv Langeweile oft nicht einmal das Schlechteste. Weil nur aus der Langeweile kommen die besten Gedanken. Ich persönlich glaube, ohne Langeweile hätte der Mensch überhaupt nichts erfunden, keine Mondlandung, keinen Reißverschluß, keine perversen Sexspiele mit Reißverschlüssen an den unmöglichsten Stellen, nichts! Und das beste an der Langeweile ist, daß sie immer größer wird, je mehr die Leute dagegen erfinden.
Aber beim Brenner wieder einmal alles anders. Der hat nicht vor Langeweile Sachen erfunden, sondern der hat jetzt vor lauter Langeweile ein bißchen die Realität an sein Krankenbett herangelassen. Und vor lauter Langeweile hat er sich nach und nach an die Leute erinnert, die in der letzten Woche bei ihm einen Krankenbesuch gemacht haben. Aber eigentlich nicht an die Leute, sondern nur an ihre Stimmen. Aber eigentlich nicht nur an die Stimmen, sondern auch an das, was sie zu ihm gesagt haben.
«Ruhen Sie sich nur aus, solange Sie brauchen. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß Ihnen niemand schuld an dem Vorfall gibt.» (Die butterweiche Stimme vom jungen Regens.)
«Verstecken Sie sich nicht, Brenner! Sie wissen genau,
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