Silentium
Möglichkeiten gegeben. Darum hat der Brenner sich eben zum Tischfußballtisch gestellt, schönes Spiel hin oder her, weil da hat der Fitz auf dem Rückweg auf jeden Fall vorbeikommen müssen.
Wenn er das nicht getan hätte, hätte er wahrscheinlich nie im Leben die Entdeckung gemacht, daß Tischfußball allein die beste Nachdenkhilfe ist, die es auf der Welt überhaupt gibt. Er hat ein bißchen herumgeschossen, ein bißchen den Ball ins Tor gepfeffert, ein bißchen in den Ballschlitz gegriffen, ein bißchen nachgedacht.
Und ein bißchen ist er sich jetzt selber wie so ein Tischfußballmännchen vorgekommen. Und der René ein Tischfußballmännchen, und die Dr. Ogusake ein Tischfußballmännchen, und der Gottlieb ein Tischfußballmännchen, und der Waldbrand ein Tischfußballmännchen, und alle anderen auch nur Tischfußballmännchen, mit denen der Präfekt Fitz gespielt hat.
Der Brenner hat eine Kugel ins Tor gejagt, daß er sich dabei fast das Handgelenk gebrochen hat. Er hat mit den blauen Männern gespielt, weil auf dieser Seite der Ballschlitz war, und die roten Männer sind herrenlos in der Gegend herumgestanden. Nur wenn der Brenner einen von ihnen angeschossen hat, haben sie sich sinnlos in der Luft gedreht wie ein Detektiv, der keinen Plan hat und nur hin und wieder von einem Denkstoß gebeutelt wird.
Aber interessant! Er hat zwar schon vor zwei Stunden, beim Verlassen der Felsenreitschule den Verdacht gehabt, daß der Präfekt Fitz den Waldbrand hinuntergestoßen hat. Aber der Grund dafür ist ihm erst jetzt eingefallen. Beim Tischfußball. Darum sage ich ja Tischfußball! Und ein bißchen hat doch auch die Inspektion des Absprungfelsens genützt. Ein romantisches Versteck mit einer netten Holzbank, soll man gar nicht herumerzählen, sonst kommen wieder alle hin. Dort oben hat der Brenner verstanden, warum die Leute immer genau an derselben Stelle landen, weil vom ganzen dings her ist das logisch gewesen.
Aber erst beim Tischfußball ist ihm eingefallen, warum er eigentlich so sicher war, daß der Fitz seine Assistentin gestoßen hat. Nicht nur, weil er gewußt hat, daß sie vom Institut abspringen wollte.
«Hier bin ich gelegen, und dort ist mein Freund gelegen», hat das Fräulein Schuh ihm erklärt. Sprich, der Waldbrand ist genau dort gelandet, wo damals sie gelegen ist. Wenn die Selbstmörder immer an derselben Stelle landen, dann hätte natürlich damals das Fräulein Schuh tot sein müssen und nicht der John F. Kennedy. Wäre vielleicht gescheiter gewesen, muß man beim heutigen Wissensstand ganz ehrlich sagen. Aber darum geht es nicht, es geht darum, daß der Waldbrand um einen Meter zu weit hereingesprungen ist.
Uh, da hat der Brenner viele Bälle ins Tor schießen müssen, bis er sich das so schön auseinandergeklaubt hat, wie ich es dir da erzähle.
Und da sieht man wieder einmal, wie wichtig es ist, daß man sich als Detektiv alles ganz genau anhört. Heute die Leute ja immer schneller und schneller, und die jungen Leute sofort Aufschrei: Ich kenne mich schon aus! Da gebe ich gern zu, daß das nicht so die Stärke vom Brenner war. Aber eben das Zuhören. Das Ohr.
Da hat der Präfekt Fitz schon nicht schlecht überlegt, daß er dem Brenner ausgerechnet ein Ohr ins Bett gelegt hat. Der Brenner hat wieder einen Ball eingeworfen und ihn planlos hin und her gegeben, vom linken Verteidiger zum rechten und zurück und vor zu einem Mittelfeldmännchen und wieder zurück zu den Verteidigern. Er hat es aber gar nicht richtig bemerkt, daß er das tut, so versunken hat er jetzt seine Gedanken hin und her geschoben:
Wie sie das Marianum seit Jahren und Jahrzehnten mit den Geldern aus dem Jungfrauenhandel für die Festspielstars finanziert haben. Wie dann der alte Dr. Phil. Guth gegen die Statuten verstoßen hat, weil er sich die fünfzehnjährige Mary Ogusake selber unter den Nagel gerissen hat, statt sie weiterzuvermitteln. Wie er den Hut nehmen hat müssen und das Fräulein Schuh ihm als Abfindung das alte Haus in Petting angeboten hat, das der Festspielvize sowieso nicht losgeworden ist. Wie er über die Grenze gezogen ist und den Namen seiner Frau angenommen hat: Dr. Ogusake.
Und das Institut hat ein vollkommen verläßlicher Partner übernommen, der Sohn des Fräulein Schuh.
Und wieder schön den Ball unten herausholen und weiterspielen. Weil solange die Kugel gerollt ist, sind auch die Gedanken vom Brenner ein bißchen herumgerollt.
Jahrelang ist das alles klaglos gelaufen, bis der
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