Silentium
der Praderin. Sondern Erinnerung. «Das ist genau die Stelle, wo ich damals gelegen bin», hat sie auf die Tote gedeutet. «Und genau da ist mein Freund gelegen.» Genau da, wo das Fräulein Schuh jetzt gesessen ist. «Sie fallen immer auf dieselbe Stelle», hat sie erzählt. «Weil man überhaupt nur von dem einen Felsvorsprung wegspringen kann. Ich weiß immer schon, wo sie liegen, wenn drüben das Telefon läutet.»
«Immer auf dieselbe Stelle», hat der Brenner gesagt. «Aber die Leute sind immer andere.»
«Jaja, die Leute.»
«Die Frau Prader war die engste Mitarbeiterin von Ihrem Sohn. Sie hat offenbar erkannt, daß jetzt alles auffliegen wird. Der lukrative Jungfrauenhandel, den Sie mit Ihrem Sohn aufgezogen haben.»
«Das müssen Sie zuerst einmal beweisen», hat das Fräulein Schuh so gleichgültig gesagt, als ginge es um die Frage, wie das Wetter morgen wird.
«Das ist ganz einfach.»
«Einfach?»
«Vor Jahren haben Sie mir weisgemacht, der Carlos José hätte die Anrufe nur fingiert, um seine miserable Gesangsleistung zu rechtfertigen.»
«Er hat ja auch miserabel gesungen. Die Stimme war völlig hinüber.»
«Darum wollten Sie ihn auch mit Ihren Anrufen dazu bringen, daß er freiwillig seinen auf Jahre hinaus abgeschlossenen Vertrag kündigt. Ihre Anrufe waren ja nicht Belästigung, wie ich damals geglaubt habe, sondern Erpressung.»
«Der hat doch zugegeben, daß er die Anrufe selber gemacht hat.»
«Genau das hätte mich stutzig machen müssen, daß er dann auf einmal alles so schnell zugegeben hat. Aber es ist mir erst aufgefallen, wie Sie mir jetzt nach Jahren die Premierenkarte zugesteckt haben. Wie echt Ihre Stimme war, mit der Sie die Anruf-Stimme imitiert haben.»
«Olalà, der Herr Detektiv mit dem absoluten Gehör», hat das Fräulein Schuh melodiös gespöttelt, und dann wieder schroff wie das reinste Reibeisen: «So lange kann sich kein Mensch eine Stimme merken.»
Aber der Brenner hat sich jetzt von ihrem rauhen Ton nicht mehr täuschen lassen. Er hat nur ganz ruhig gesagt: «Der Herr José hat eben offiziell doch lieber die Stimme verloren als die Hose.»
«Wer verliert schon gern die Hose?»
«Vor allem, wenn so viele kleine Mädchen drinnen stecken. Die Sie und Ihr Sohn ihm vermittelt haben.»
Das Fräulein Schuh hat nur mit den Schultern gezuckt: «Das ist lange her. Was wollen Sie mit dieser alten Geschichte?»
«Die alten Geschichten sind die besten. Zum Beispiel, daß Ihr Sohn den Jungfrauenhandel vom alten Dr. Phil. Guth übernommen hat, wie Sie ihn ins Ausgedinge nach Petting geschickt haben.»
Und dann hat der Brenner ihr ein paar neue Geschichten erzählt. Daß er in der Mönchsberg-Villa angerufen hat, wo das Fräulein Schuh und ihr Sohn die philippinischen Jungfrauen über den Sommer gehalten haben wie im reinsten Hochsicherheitstrakt, bewacht von der Angorakatze. Daß der Gottlieb deshalb umgebracht worden ist, weil er dem Verschwinden der Mary Ogusake nach Petting hinterhergewühlt hat. Und die Mary, weil der Brenner und der René die Spur vom Gottlieb weiter verfolgt haben. Daß jetzt auch die Sekretärin von ihrem Sohn vom Mönchsberg gehüpft ist, weil der sie in eine immer aussichtslosere Lage hineinmanövriert hat.
«Mein Sohn», hat das Fräulein geseufzt. Aber nicht geseufzt über ihren Sohn, sondern über die Blödheit vom Brenner. «Kümmern Sie sich doch nicht um meinen Sohn. Kümmern Sie sich doch nicht immer um die kleinen Fische!» Dabei ist sie aufgesprungen, als wäre ihr plötzlich bewußt geworden, daß sie neben einer Leiche sitzt. «Daß das Institut meines Sohnes vielleicht die eine oder andere Vermittlungsspende für die Hauskirche bekommen hat, das kann Ihnen doch egal sein. Fragen Sie sich lieber, wie wir unsere Geschäfte über Jahre unbemerkt vom Präsidium betreiben konnten!»
Jetzt natürlich. Hat das Fräulein Schuh wieder angefangen, sich selber die Fragen zu stellen.
«Fragen Sie sich einmal, warum wir dem Vize sein Hexenhaus in Petting so günstig abgekauft haben. Und ich kann Ihnen sagen –»
«Günstig für Sie oder für ihn?»
Aber das Fräulein Schuh hat jetzt nichts mehr gehört. «Sie sollten sich lieber fragen, warum der Vizepräsident der Salzburger Festspiele so böse auf seinen Schwiegersohn war. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß das Alles für den Hugo alles war.»
«Ich weiß, daß er die Disketten gestohlen hat.»
«Aber Sie wollen wissen, was auf den Disketten drauf war. Das kann ich Ihnen
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