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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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ausgesprochen zu haben.
    »Um Himmels willen«, sagte sie.
    »Tut mir leid«, sagte er wieder einmal. Er hob die Fäuste und presste sie seitlich an den Kopf, verbarg sein Gesicht vor ihr. Er wünschte, er könnte sich einfach an den Kopf schlagen und sich so von der Erinnerung an diese letzten paar Minuten befreien.
    »Geh ins Bett, George«, sagte Colette. »Es ist spät und kalt, und du siehst immer noch krank aus. Geh … geh einfach zu Bett.«
    George antwortete nicht. Er saß nur da, vorgebeugt, die Fäuste an die Schläfen gepresst.
    Sie seufzte. »Wenn ich dich jetzt hier allein lasse, wirst du dann von diesem verdammten Haus springen oder irgendetwas anderes Dummes tun?«
    »Nein«, antwortete George leise.
    »Versprochen?«
    Er nickte.
    »Es tut mir leid, George«, sagte sie. »Wirklich. Ich wollte dich nicht traurig machen, ehrlich nicht.« Dann machte sie kehrt und ging davon.
    Als ihre Schritte verhallten, hielt er zwischen den Händen Ausschau nach ihr. Vor der Tür blieb sie stehen, als wollte sie sich noch einmal zu ihm umschauen, aber sie tat es nicht. Sie öffnete nur die Tür und schlüpfte hindurch, und er blieb allein zurück.
    George blieb lange Zeit auf dem Dach. Zwischen den vielen Anfällen von Selbsthass ging er im Geiste immer wieder die Augenblicke durch, in denen er dieses anstelle von jenem hätte sagen, das anstelle von dem hätte tun sollen. Einen Moment lang schien alles so gut gelaufen zu sein … Vielleicht hätte die kleinste Abwandlung im Verlauf dieses Abends gereicht, und es wäre ganz anders gekommen, und er würde nun hier sitzen und ihre Hand halten und endlich glücklich sein.
    Aber vielleicht hatte er seine Gelegenheit schon viel früher verpasst. Er dachte an andere Momente der Nähe, in denen er vielleicht hätte aggressiver sein und seine Sache vorantreiben sollen. Dabei stolperte er über eine Erinnerung, die ihn mit größter Scham erfüllte.
    Es war vor fast einem Monat gewesen, als sie in die Stadt gekommen waren und einen freien Abend hatten. Mehr oder weniger aus einer Laune heraus hatte George vorgeschlagen, sie könnten sich eine Vorstellung ansehen, schauen, was die Konkurrenz machte, und außer Colette war niemand interessiert gewesen. Als sie hinten im Theater nebeneinander gesessen hatten, hatten sie spöttische Bemerkungen über die schlampig aufgeführten Nummern oder die miese Leistung des Orchesters ausgetauscht oder sich darüber ausgelassen, dass diese und jene Zeile eine exakte Kopie von etwas wäre, das sie schon Wochen vorher gehört hatten. Sie hatten sich als fröhliche, selbstgefällige Kritiker aufgeführt und Geheimnisse geteilt, die außer ihnen niemand im Publikum hätte verstehen können.
    Doch dann war die dritte Nummer an der Reihe, und alles wurde anders. George hatte weiter seine Kritik abgegeben, aber Colettes Redefluss war rasch versiegt. Erst als die Nummer beinahe vorbei war, hatte er sich zu ihr umgeschaut und erkannt, dass sie still und mit schmalen Augen und noch schmaleren Lippen auf ihrem Platz saß, doch während ihnen das Gelächter der Menge um die Ohren schlug, konnte er ihren abrupten Stimmungswandel nicht begreifen.
    Nun aber nahm er an, dass er hätte verstehen müssen, was an dieser Nummer anders gewesen war. Im Gegensatz zu den anderen Darbietungen war es eine Minstrel-Nummer gewesen. George hatte zu seiner Zeit viele davon gesehen und sogar am Piano begleitet. Erstmals hatte er so etwas im Otterman’s erlebt, und da er in Rinton nie einem schwarzen Menschen begegnet war, hatte er gar nicht recht gewusst, was diese schimmernden, ebenholzschwarzen Leute mit den roten Mündern darstellen sollten. Toffy, der Geiger, hatte ihm erklärt, in der Nummer würden Neger imitiert, doch bei späteren Vorstellungen hatte George den Eindruck gewonnen, dass diese Erklärung unzureichend war. Viele der sogenannten Niggernummern bezogen sich überhaupt nicht auf Neger, und in den wenigen Nummern von Farbigen, die er zu sehen bekommen hatte (gewiss nicht im Otterman’s, aber in anderen Häusern), hatten die Künstler die gleiche Art von Make-up getragen. Worauf verwies dieses Make-up? Welchem Zweck diente es? Er hatte es nie so recht gewusst.
    Doch an jenem Abend hätte er erkennen müssen, dass dieses Make-up für Colette wichtig war. Nun, nach all dem, was sie ihm auf dem Dach erzählt hatte, begriff er, dass es für sie eine Bedeutung hatte, die so eine schrecklich große Rolle spielte, dass er daran zweifelte, ob er sie je ganz

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