Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
Vom Netzwerk:
landete seines inmitten derer, die viel später gestorben waren.« Das Echo lächelte. »Tatsächlich, William, bin ich überzeugt, sein nicht gekennzeichnetes Grab liegt nicht weit von der Stelle entfernt, an der Sie Ihre Frau beerdigt haben.«
    Diese Bemerkung überraschte George dermaßen, dass er beinahe umgekippt wäre. Seine Bewegung brach den Zauber, und das Echo verschwand, aber nicht, ehe es noch ein letztes, unangenehmes Kichern von sich gegeben hatte.
    Lange Zeit saß Silenus still da, ehe er sich endlich räusperte und sagte: »Tja.« Dann noch einmal: »Tja.«
    George wartete darauf, dass er mehr sagen würde, doch es kam nichts. Silenus erhob sich langsam, den Blick in weite Ferne gerichtet. »Ich hatte gehofft … ich hatte gehofft, dass wir das nicht würden erleben müssen. Aber … nun ja.« Er ergriff seine Tasche. »Hier entlang.«
    Inzwischen war es auf dem Friedhof furchtbar dunkel geworden, aber Silenus schien zu wissen, wohin er ging. Sie liefen über das Gräberfeld, bis sie eine alte Eiche erreicht hatten, von der aus Georges Vater an einer Reihe von Grabsteinen entlangschritt, bis er an dem letzten angelangt war. George blieb ein wenig zurück, um seinem Vater ein wenig Zeit allein zu geben, aber schließlich trat er näher und stellte sich neben ihn. In den Grabstein eingraviert stand zu lesen:
    ANNE MARIE SILLENES
    GELIEBTE GEMAHLIN
    MÖGE SIE ERWACHEN UND WIEDERAUFERSTEHEN
    PATER OMNIPOTENS AETERNA DEUS
    1829 – 1862
    Georges Augen verweilten auf dem Datum. Sie war vor beinahe fünfzig Jahren gestorben. Aber wenn das stimmte, wie konnte sein Vater dann selbst nicht älter als vierzig, fünfzig aussehen? George wollte ihn fragen, aber Silenus starrte den Grabstein aus so traurigen Augen an, dass er sich nicht traute.
    »Pater omnipotens …«, sagte Silenus leise. »Ich hatte vergessen, dass ich das hatte einmeißeln lassen. Es war ihr Wunsch, nicht meiner. Aber ich musste ihn respektieren. Sie war der Meinung, Latein wäre solch eine entzückende Sprache, dabei hat sie kein Wort davon verstanden.«
    »Ich wusste nicht, dass du verheiratet warst, bevor du meine Mutter kennengelernt hast«, sagte George.
    »Du weißt nur sehr wenig über mich, nehme ich an. Manchmal glaube ich, auf jedem Friedhof dieses Landes liegt ein Freund von mir und ein paar andere auf Friedhöfen jenseits der Grenzen. Aber keiner davon geht mir so nahe wie dieser Mensch.«
    »Wie ist sie gestorben?«
    Er tippte sich an den Kopf. »Krebs.«
    »Tut mir leid.«
    »Was tut dir leid? Du hast sie doch gar nicht gekannt.«
    »Für dich tut es mir leid, meine ich. Das ist übrigens ein schöner Grabstein.«
    »Das ist ein verdammter Felsbrocken, weiter nichts. Der weiß nicht, was auf ihm geschrieben steht oder welche Form er hat, und es interessiert ihn auch nicht. Was dort steht, ist bedeutungslos. Das, worauf es sich bezieht, ist längst vergangen.« Er schüttelte den Kopf. »Was für Narren wir doch alle sind.«
    »Was?«, fragte George.
    »Du hast sie doch gehört, nicht wahr?«, fragte Silenus. »Ich bin nur ein einfacher Mann, ein einfacher Bauer, ein einfacher Prediger … Sie sind alle tot, und doch halten sie sich an ihren Titeln fest. Was für Narren. Wir schmücken uns mit Worten und Etiketten und albernen, charakterlosen Funktionen, um uns Scheuklappen anzulegen und in glückseliger Unwissenheit zu leben, und bilden uns ein, durch diese kleinen Titel einen Wert zu erlangen.« Seine Stimme troff vor Verachtung. » Geliebte Gemahlin … pater omnipotens … Das sind … es sind nur Worte!«, donnerte er. »Aus der Luft gegriffen! Dinge und Vorstellungen, die wir uns übergestülpt haben! Aber sie sind nicht … sie sind nicht wirklich . Sie bieten nur billigen Trost. Das sind nur fadenscheinige Halbwahrheiten, wenn überhaupt. Was für Narren sind wir, dass wir unser Leben damit verbringen, ihnen nachzujagen … Es gibt nur zwei Wahrheiten, George, jedenfalls nur zwei Wahrheiten, auf die wir achten sollten: Die Weise und das, was wir Tag um Tag mit ihrer Hilfe abzuwehren versuchen. Wie diese elenden Kreaturen bibbern würden, wenn sie wüssten, wovor wir sie schützen.«
    George legte besorgt die Stirn in Falten. Zwar konnte er sehen, dass sein Vater verstört war, doch diese letzte Bemerkung beunruhigte ihn. Denn wenn der Wolf in Rot recht hatte, dann hatte die Truppe im Grunde niemanden beschützt. Er hatte sich nach Kräften darum bemüht zu glauben, dass das nicht der Wahrheit entsprach, aber als

Weitere Kostenlose Bücher