Silenus: Thriller (German Edition)
denen ich sprechen muss, höchst interessant sein dürfte.«
»Du willst einen Grabraub begehen?«, fragte George. Schon die ganze Zeit hatte er den Verdacht gehabt, dass Silenus so etwas im Schilde führte, trotzdem war es ein Schock für ihn, seinen Vater vor seinen Augen zur Tat schreiten zu sehen.
»Ja«, sagte Silenus. »Er wird es nicht mehr vermissen. Außerdem war er den Gerüchten zufolge im Leben ein elender Mistkerl. Klingt logisch. Außerdem, wer lässt sich schon mit seinem Lieblings-Malt beerdigen?«
»Daran kann ich mich nicht beteiligen«, sagte George.
Silenus blickte auf. »Hä?«
»Ich werde keinen Grabraub begehen, Harry!«
»Was? Aber das dauert Stunden länger, wenn du mir nicht hilfst! Komm schon, schnapp dir eine Schaufel.«
George wandte sich ab und ging davon.
»George!«, schrie Harry. »Komm zurück, George! Um Himmels willen, Junge, bleib …« Seine Worte gingen in Gegrummel unter, akzentuiert von den Geräuschen der Schaufel.
George entdeckte ein großes, weißes, steinernes Mahnmal auf einer kleinen Anhöhe. Es sah aus wie die Spitze eines Kathedralenturms, und er setzte sich in den Schatten einer der steinernen Traufen und sah seinem Vater bei der Arbeit zu. Er kam so schnell voran, dass George zu dem Schluss kam, er hatte dergleichen schon einige Male zuvor getan.
Bald war es tiefe Nacht, und auf dem Friedhof herrschte fast vollkommene Finsternis. Der Mond und die Sterne schienen hinter dünnen Wolkenbändern hervor und rissen eine schimmernde Landschaft aus kunstvoll geformten Steinen und sanften Hügeln aus dem Dunkel, und am Fuß eines Hügels plagte sich sein Vater wie wahnsinnig. Dann kam Bewegung in die Wolken, und es wurde wieder finster, und George konnte nichts mehr sehen. Er fühlte nur den kühlen Granit in seinem Rücken und hörte das heisere Scharren der Schaufel in der Nacht. Und doch konnte er, so blind er auch war, die Erkenntnis nicht ausblenden, dass sie auf ihren Reisen nichts geschützt hatten. Stattdessen waren hinter ihnen Hunderte kleiner Städte oder Täler oder Leben erloschen, aus dem Sein gerissen von einem achtlosen Schatten, den die Truppe hätte aufhalten sollen.
George barg sein Gesicht in den Händen. »Oh Gott«, sagte er. »Mein Gott, was haben wir getan?«
Dann leuchtete ein goldenes Licht zwischen den Grabsteinen auf. »Aha!«, rief Silenus. »Ich habe es gefunden!«
Georges Augen passten sich an, und er sah, dass das Licht aus Finn MacCogs Grab strömte. Er stand auf und ging, bisweilen tastend, hinab zu seinem Vater. Er sah Silenus’ Kopf aus dem ausgeschachteten Grab hervorlugen, und dann war da noch etwas, das sehr, sehr schwach auf dem Boden der Grube leuchtete.
George näherte sich dem offenen Grab und blickte hinein. Sein Vater stand auf einer großen Steinplatte am Boden der Grube. Sie war beschriftet, aber George konnte die Worte nicht lesen. Silenus hatte um die Platte herumgegraben, bis er auf den darunterliegenden Sarg gestoßen war, und neben dem Sarg lag eine große, eiserne Kiste, die herausgezerrt und geöffnet worden war, und dort, in der Kiste, war etwas, das auf den ersten Blick aussah wie eine Art Lampe, die einen sanften, goldenen Lichtschein verbreitete. Anderer Plunder – bei einigen Dingen schien es sich um irgendwelche sehr alten Knochen zu handeln – lag auch darin, aber der Lichtschein war beeindruckender als alles andere.
»Was ist das?«
Silenus bückte sich und zog es hervor. Nun sah George, dass es keine Lampe war, sondern eine Flasche, und der Inhalt der Flasche glühte. »Das ist Whiskey, mein Junge«, sagte Silenus. »Aber nicht irgendein Whiskey. Der Whiskey. Vielleicht der erste.« Er lachte zufrieden und keckernd. »Die Leute hatten recht, was dich betrifft, Finn, mein Junge. Du hast es wirklich geschafft, etwas davon aus dem Alten Land zu stehlen, was?«
»Das ist Whiskey? Und warum leuchtet er?«
»Weil dies Uisce beatha ist, das Wasser des Lebens. Der Whiskey, den sie in der alten Zeit hergestellt haben, bevor die Dunkelheit gekommen ist. Das ist ein außerordentlich seltener und kostbarer Trunk und bei kundigen Liebhabern überaus begehrt. Niemand weiß, wie er gemacht wurde, es gibt fast keinen mehr auf der Welt. Und du«, sagte er zu dem Sarg unter seinen Füßen, »du elender Mistkerl, du hast versucht, ihn bis in alle Ewigkeit hier in deinem Grab zu verstecken.« Er lachte wieder.
»Willst du mir ernsthaft erzählen, wir sind den ganzen Weg hergekommen und haben ein Grab
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