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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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waren. Erst gegen Ende des Korridors folgten Bilder mit sinnhaften Darstellungen. Hier fand sich eine bemerkenswerte und wunderschöne Bilderwelt von Landschaften und Stadtansichten. Einige der Gemälde waren so Ehrfurcht gebietend, dass sie den Angehörigen der Truppe leise Seufzer entlockten.
    »Dies ist die Privatsammlung ihrer Ladyschaft«, sagte der Herold. »Die Bilder werden einmal alle tausend Jahre von einem der Hofmaler angefertigt. Man kann es an dem veränderlichen Stil, den verschiedenen Motiven und der Entwicklung der Darstellungen erkennen.«
    George sah sich um. An den Wänden mussten mindestens ein paar Hundert Gemälde hängen. »Dann sind die an diesem Ende des Gangs die ältesten, und sie werden jünger, je näher man dem Eingang kommt?«
    Der Herold musterte ihn einen Moment, als hätte er kein Interesse, auf Georges impertinenten Ton zu antworten. »Ja.«
    George sah sich die lange Reihe der Bilder an, die vollständig schwarz waren. Stammten sie aus der Zeit, in der die Wölfe erstmals aufgetaucht waren? Und danach waren die Darstellungen so verstörend und verzerrt, als wären die Künstler schrecklich traumatisiert gewesen oder als hätte es nichts Schönes mehr gegeben, das sie hätten malen können …
    Der Herold öffnete die Doppeltür am Ende des Ganges und führte sie in einen riesigen Salon mit hoher Decke. Obwohl eine ganze Wand nur aus Erkerfenstern bestand, war es sehr dunkel im Raum. Dennoch konnten sie etliche, ringförmig angeordnete, dicke Polsterstühle, einen tiefer liegenden Tanzboden und viele Tische im Hintergrund ausmachen. Irgendwo spielte jemand eine gespenstische Melodie auf einem stark verstimmten Piano. Auf den ersten Blick schien der Raum verlassen zu sein, doch als ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, erkannten sie, dass das nicht der Fall war: Große, hagere Gestalten standen in Grüppchen beisammen oder lagen bequem auf Chaiselongues oder saßen, gelangweilt speisend und trinkend, an den Tischen. Irgendwie schafften sie es, dem Auge zu entschlüpfen, beinahe, als bestünden sie aus Rauch, es sei denn, man schaute sie direkt an. Jede Person trug eine Maske, weiß wie Porzellan, und in viele war ein Mund eingearbeitet, der es ihnen gestattete zu rauchen oder zu trinken. Die Maskierten starrten sie an, als sie vorübergingen.
    »Ich glaube, ich kenne diesen Ort«, sagte Franny leise. »Er hat sich verändert, aber … aber ich habe beinahe das Gefühl, ich war schon einmal hier.«
    Der Herold führte sie geradewegs zur hinteren Seite des Salons, an dem sich ein Podest befand, und auf diesem Podest waren mehrere große, hagere Frauen in eleganten Kleidern. George wusste nicht viel über Damenmode, aber er kannte sich gut genug aus, um diese schmalen, kunstvollen Hüte, die figurumschmeichelnden Kleider und den Sans-Ventre-Schnitt wiederzuerkennen und zu wissen, dass er hier Elemente der Haute Couture vor sich sah. Und doch hockten diese eleganten Damen mit ausgestreckten Gliedern auf dem Boden wie gelangweilte Kinder.
    Als der Herold sie an ihnen vorübergeleitete, drehten sich die maskierten Gesichter der Damen zu Silenus um.
    »Er ist hier«, flüsterte eine Stimme.
    »Ist das … nein. Nein, das kann nicht …«
    »Wie konnte er hierherkommen? Weiß er denn nicht …«
    »… Irrtum? Vielleicht denkt er …«
    »… närrisch ist es auf jeden Fall …«
    Aber Silenus ignorierte sie, die Nase hoch erhoben.
    Auf dem Podest gab es einen weiteren Kreis dick gepolsterter Chaiselongues, jede belegt von einer lethargisch aussehenden Frau in einem umwerfenden Kleid. Doch das Sitzmöbel am hinteren Ende war viel größer als die anderen, und auf ihm saß die bisher größte Dame, gekleidet in strahlendes Weiß. Ihre Maske war schöner als die aller anderen, und doch hatte ihr Schöpfer Tränen aufgebracht, die aus den Augenwinkeln zu fließen schienen. George kam die Maske unaufrichtig vor, denn die Art, wie die Dame dort saß, wirkte keineswegs traurig, sondern entsetzlich stolz.
    Der Herold verbeugte sich vor dem Kreis der Damen. »Mylady«, verkündete er. »Ich bringe Euch Heironomo Silenus, der Zutritt zum Hofe und einen Moment Eurer Zeit erbeten hat.«
    Die Maske der großen Frau richtete sich unentwegt auf Silenus. »Ja«, sagte sie mit einer Stimme, so zart und gedämpft wie die aller anderen. »Das sehe ich.«
    Um sie herum erklangen die Geräusche reger Schritte. George sah sich um und erkannte, dass sich vor dem Podest Hunderte von

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