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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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wiederholte die Dame. »Sie scheinen mir so jung zu sein, so frisch. Die Jahre lasten noch nicht schwer auf ihnen, das kann ich riechen. Wie konnte ein alter Unhold wie du sie in seine Finger bekommen?«
    »Sie sind aus freien Stücken bei mir«, antwortete Silenus.
    »Oder sie glauben nur, sie wären es«, gab sie zurück, ging vor ihnen auf die Knie und legte jedem eine Hand auf die Schulter. Sie war stark parfümiert, doch kein Duft konnte den Geruch des Verfalls überdecken, der unter ihrem Kleid hervordrang. Nun, da sie so nahe war, konnte George Andeutungen der Haut jenseits der Maske erkennen, und sie war grau und vernarbt und an anderen Stellen von einem lebhaften, gleißenden Rot. »Nun, meine Lieblinge, würdet ihr euch gern mein Haus mit mir ansehen? Ich glaube, es birgt viele Wunder für Geschöpfe, die so jung sind wie ihr. Es wäre von großer Freundlichkeit mir gegenüber, würdet ihr mich begleiten.«
    George und Colette wechselten einen Blick und sahen Silenus an. George ging auf, dass die Ablehnung solch eines Angebots gemäß den Standards dieses Hofes als unhöflich gelten musste, und er sah, dass sein Vater nach einem Ausweg suchte. Doch dann gab er auf und nickte kaum wahrnehmbar.
    »Gern«, sagte George und fügte dann hastig hinzu: »Mylady.«
    »Ausgezeichnet«, sagte sie, erhob sich und hielt jedem von ihnen eine Hand hin. Nach einem weiteren nervösen Blickwechsel ergriff jeder eine davon. Durch die Handschuhe fühlten sich ihre Finger sehr dünn und sehr, sehr hart an, so hart, als wären sie aus Stein. »Bezüglich unserer Vereinbarung darfst du dich an meinen Seneschall wenden«, sagte sie zu Georges Vater. Ein kleinerer Elf in einem grauen Sakko und einer karierten Hose trat vor. »Er wird darüber befinden, wie sie bestenfalls erfüllt werden kann. Anschließend kannst du dich, wenn es dein Wunsch ist, auf deine Vorstellung vorbereiten.«
    Hand in Hand führte sie George und Colette von dem Podest. Zwei ihrer Hofdamen folgten ihr, während Silenus, Stanley und Franny hilflos zuschauten. George sah, wie sein Vater den Mund zum Sprechen öffnete, noch einmal nachdachte und doch schwieg.

26
     
    ANDEUTUNGEN UND MUTMASSUNGEN
     
    Der Rest des Hauses war nicht weniger verstörend als der Salon. Es schien aus nichts als dunklen Korridoren und schattigen Dachvorsprüngen zu bestehen, und man hatte stets das Gefühl, irgendwelche Gestalten aus dem Augenwinkel zu erblicken. Auch das Geräusch flatternder Schwingen ließ George nie los. Es war, als drängelten sich Saatkrähen unter den finsteren Dachvorsprüngen, die beständig flatterten, um sich auf ihren Plätzen zu halten.
    Ofelia war begierig, ihnen ihre Kunstsammlung zu zeigen, und bald wurde offenbar, dass die Gemälde in dem Gang nur einen Bruchteil des Ganzen ausmachten. Sie sahen Räume voller aufwendig gearbeiteter Rüstungen, Skulpturen aus einer Zeit noch vor der klassischen Antike und Bilder aller Art. Dann und wann tauchte auch ein Spiegel auf, und George erkannte, dass sein Vater recht hatte: Spiegel reflektierten an diesem Ort nicht den Betrachter, sondern zeigten stattdessen endlose graue Gänge, was der Dame ein wenig peinlich zu sein schien, denn sie beeilte sich, ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken. Allerdings gab es in ihrer Sammlung auffällige Lücken, und irgendwann erkundigte sich Colette nach den Gründen.
    »Oh, manchmal fangen gewisse Stücke an, uns zu langweilen«, erklärte Ofelia. »In diesem Fall verbrennen wir sie einfach und verstreuen die Asche.«
    »Verbrennen?«, wiederholte George entsetzt. »Warum gebt Ihr sie nicht einfach weg?«
    »Weggeben?«, sagte die Dame. »Nun, ich könnte es niemals ertragen, sie im Besitz eines anderen zu sehen. Nein, nein, ich lasse sie lieber verbrennen.«
    Was jedoch die Dame am meisten interessierte, das waren George und Colette. Sie bewunderte ihre Jugend (»Ich habe vergessen, dass siebzehn überhaupt ein Lebensalter sein kann!«) und stellte alle möglichen unangenehmen Fragen. Hatten sie je jemanden in Ekstase gebissen, kraftvoll genug, dass Blut geflossen war? Hatten sie je einen Liebhaber ermordet? Hatten sie je Liebe erzwungen, und wenn, dann wie? Als die Antworten auf ihre Fragen samt und sonders negativ ausfielen, schüttelte sie verwundert den Kopf. »So junge kleine Dinger«, murmelte sie. »So jung.«
    Sie setzten ihren Weg durch die endlosen Gänge und Zimmer fort. George und Colette wurde langweilig, und sie bekamen Hunger, aber die Dame und ihr

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