Silenus: Thriller (German Edition)
Männern und Frauen in eleganten Anzügen und Kleidern versammelt hatten, die sie alle aus leeren Maskenaugen anstarrten.
»Ich fürchte mich beinahe zu fragen«, sagte die Dame. »Warum um alles in der Welt magst du, Silenus, erneut Einlass in mein Haus begehren?«
»Und ich fürchte mich beinahe zu antworten«, erwiderte Silenus und verbeugte sich ebenfalls.
»Ich hatte angenommen, ein Besuch wäre genug«, fuhr sie fort. »Zwei grenzen schon an grobe Unhöflichkeit. Aber drei? Das ist wahrlich unerhört.«
Bei diesen Worten starrte Stanley Silenus überrascht an, und George erkannte, dass er bis dahin nicht gewusst hatte, dass dies schon Silenus’ dritter Besuch war.
Silenus richtete sich wieder auf. »Doch wie könnte ich fernbleiben? Wer ein Mal die Freuden und die Schönheit der Quelle erfahren hat, der kann nur …«
»Ach, bitte«, fiel ihm die Dame ins Wort. Obwohl die Maske ihre Stimme dämpfte, konnte sie den verächtlichen Tonfall doch nicht mildern. »Erspar mir die Schöntuerei. Deren Adressat war ich viel zu oft. Ich kann mir nur drei Gründe für deine Rückkehr vorstellen. Erstens, du empfindest doch endlich einen Funken Bedauern für deine Gräueltaten und bist hier, um Buße zu tun. Oder zweitens, du bist lebensmüde und gedenkst, so öffentlich und feierlich wie möglich zu sterben. Oder drittens«, fuhr sie fort und knirschte nun hörbar mit den Zähnen, »du willst etwas von mir. Ich würde dich für einen Narren halten, sollte Letzteres tatsächlich der Grund für deine Anwesenheit sein, wäre ich nicht so vertraut mit deiner Hinterlist.«
Silenus gab sich zurückhaltend. »Ihr tut mir unrecht, Mylady.«
Sie beugte sich vor. »So?«
»Zunächst, Ihr geht davon aus, dass ich kein Bedauern für das hege, was geschehen ist«, sagte er. »Das ist ungerecht. Ich empfinde Bedauern. Bedauern erfüllt mein ganzes Herz. Bedauern für viele Dinge, für viele Nationen. Und zum Schmerzlichsten zählt dabei das Bedauern für den Verlust Eurer Mutter.«
Die Dame legte gemächlich den Kopf zur Seite, eine Geste, die durch ihren langen Hals und das leere Maskengesicht sonderbar unmenschlich erschien. »Ich habe so viele deiner Worte vernommen, Spieler. Sie besitzen eine eigentümliche Begabung, sich um deine Zunge zu winden und viele verschiedene Bedeutungen anzunehmen. Ich glaube nicht, dass Bedauern dir das Gleiche bedeutet wie mir.«
»Ofelia«, sagte Silenus. »Bitte, seid nicht so hart.«
Die Dame zitterte ein wenig. »Ich könnte dich bei lebendigem Leibe häuten«, sagte sie. »Oder dich mit deinen Innereien füttern, während du noch lebst. Oder die Knochen aus deinem Leib rupfen und deine Haut zu meiner Belustigung tanzen lassen. Ich könnte dir Ohren und Hände und Füße und die Fortpflanzungsorgane aus dem Leibe reißen und dich mit nicht mehr als einem Auge, einem einzigen Auge , in die Welt zurückschicken, damit du das Entsetzen sehen kannst, das du verdorbenes Wrack von einem Manne in anderen erwecken wirst. All diese Dinge könnte ich tun, und alle wären gerechtfertigt angesichts dessen, was du getan hast.«
»Nein«, bestritt Silenus. »Das wären sie nicht.«
Sie legte den Kopf noch weiter auf die Seite. »Nicht?«
»Was Eure Mutter getan hat, hat sie aus freiem Willen getan«, legte Silenus dar. »Ich habe einen Vorschlag gemacht, dem sie zugestimmt hat. Was geschehen ist, als wir versucht haben, die Sache zu Ende zu bringen, war tragisch, aber es war nicht die Zielsetzung unserer Vereinbarung. Sie war sich der Risiken vollkommen bewusst. Und als sie nicht mehr da war, musste die Angelegenheit immer noch zu Ende gebracht werden. Ich habe kein Unrecht getan. Unrecht wäre es, mir ein Leid zuzufügen.«
»Sie hat deinem Vorschlag zugestimmt, weil … weil …« Doch was immer der Grund war, die Dame brachte es nicht über sich, ihn auszusprechen. »Warum bist du hier?«, herrschte sie Silenus an. »Was willst du?«
»Lediglich ein Geschenk überreichen«, antwortete Silenus, griff in seine Tasche und zog den Whiskey hervor, den sie aus Finn MacCogs Grab geholt hatten.
Die Flüssigkeit hatte ihre Glut bewahrt und war sicher das Schönste in diesem düsteren, höhlenartigen Raum. All die Damen in der Umgebung richteten sich auf ihren Plätzen auf, und ein Raunen ging durch die Menge vor dem Podest.
»Ist das …«, setzte eine der Hofdamen zu fragen an.
»Es ist das Wasser des Lebens«, sagte Silenus. »Ich habe manch Heiligtum angetastet, um dies für Euch zu
Weitere Kostenlose Bücher