Silenus: Thriller (German Edition)
zerrt.
»Franny?«, rief Silenus ungläubig. »Du? Warum tust du das?«
»Nein«, sagte sie und trat ein paar Schritte vor.
»Was? Nein? Was meinst du damit? Bist du nicht dafür verantwortlich?«
»Dazu habe ich nicht Nein gesagt«, sagte Franny und ging langsam auf ihn zu. »Ich habe zu dem Namen Nein gesagt. Das ist nicht mein Name.«
Silenus schwieg. Und dann breitete sich Entsetzen in seinem Gesicht aus. »Nein. Nein, das kann nicht sein …«
»Doch«, versicherte Franny. »Du kennst mich, Bill. Natürlich kennst du mich.«
Zu Georges Schrecken fiel Silenus auf die Knie. Und dann fing Silenus, der stets so distanziert und beherrscht aufgetreten war, zu weinen an. »Mein Gott«, sagte er. »Mein Gott, bist du es wirklich?«
»Ja«, nickte sie. Sie stand zwischen ihm und der Dame. »Ich war es immer. Ein sehr kleiner Teil von mir war immer hier gefangen, begraben unter all dieser Wiedererweckung der Toten. Begraben von dir, Bill. Aber ich war immer hier. Und habe beobachtet.«
Tränen rannen über Silenus’ Wangen. »Oh mein Gott«, flüsterte er. »Annie? Annie, ist es wirklich möglich?«
Auch wenn er nur flüsterte, klang der Name in Georges Ohren wie ein Schrei. Er plärrte und hallte in seinen Ohren, und sein Mund klappte auf, und er wäre beinahe zu Boden gesunken.
»Wovon redet sie?«, fragte Colette. »Was ist nur los mit ihr?«
»Oh mein Gott«, sagte George mit schwacher Stimme. »Das ist es also. Sie ist seine Frau. Franny ist seine Frau.«
29
ANNE MARIE SILLENES
»Was?«, fragte Colette. »Wovon zum Teufel sprichst du eigentlich, George?«
»Er hat recht«, sagte Franny. »Anne … Anne Sillenes. Es ist so sonderbar, diesen Namen auszusprechen. Ich hatte ihn beinahe vergessen. Er starb mit mir vor so langer Zeit. Franny Beatty war der Name, den du für mich ausgesucht hast, Bill, den du zufällig aus einer Zeitung herausgepickt hast. Aber mein wahrer Name blieb immer bestehen und hallte durch die vielen leeren Plätze in meinem Schädel.«
»Aber wie ist das möglich?«, fragte Silenus. »Ich habe seit einem halben Jahrhundert nicht mehr mit dir gesprochen, mein Liebes … ich dachte, du wärst verloren. Wie kannst du jetzt zu mir zurückkehren?«
»Ich bin nicht zu dir zurückgekehrt, Bill«, sagte Franny oder vielleicht doch eher Anne. »Nur meine Erinnerung wurde geweckt. Das alles hat angefangen, als du mich zu den Elfen gebracht hast, weißt du noch? Das war eine Vereinbarung, die wir getroffen haben, als wir von dem Krebs erfahren hatten. Von dem Ding, das mich aufgefressen hat, dem Ding hinter meinen Augen.«
»Es war der erste von drei Besuchen«, sagte Ofelia. »Du hast sie zu meiner Mutter gebracht, als sie gestorben war. Die Grabeserde klebte noch an ihrem Leib. Du, ein hinterbliebener Gatte, mit diesem armen, blassen kleinen Ding mit den hübschen roten Haaren auf den Armen. Du hast geschluchzt wie ein Kind, als du sie zu ihr gebracht hast, nicht wahr? Und meine Mutter hatte Mitleid mit dir und hat dir von einer Möglichkeit erzählt, von Symbolen und Radierungen, die Leben in den Körper bringen können.«
»Ja«, sagte Anne. Sie hob eine Hand, packte ihren Ärmel und zog ihn zurück, präsentierte die zahllosen schwarzen Symbole, die ihren Arm umgaben wie eine zweite Haut. »Du hast mich zurückgeholt, Bill. Wie wir es besprochen haben.«
»Mein Gott, mein Liebling«, rief Silenus. »Ich … ich kann es kaum glauben! Ich dachte, es hätte nicht funktioniert! Als du zurückgekommen bist, warst du erst dieselbe … aber dann hast du dich verändert.«
»Das lag daran, dass es nicht funktioniert hat «, sagte sie. »Ich bin nicht zurückgekommen! Der Schlaf hat mich geholt, dieser erweckte Tod. Ich war so müde … Jede Sekunde wurde zur Stunde, jedes Jahr zu einem ganzen Leben. Meine Erinnerungen verblassten, und ich wusste kaum mehr, wer ich war. Doch ein Teil von mir blieb am Leben, gefangen hinter Meilen von dickem Glas, und sah die Jahre vorüberziehen. Und als du mich erneut zu diesem Haus gebracht hast, war das, als schälten sich all diese Jahre von meinem Rücken, und ich erinnerte mich … ich erinnerte mich an alles. Weißt du, wie das war, Bill? Kannst du dir nur im Geringsten vorstellen, wie es sich anfühlt, aus der Zeit zu fallen, nichts mehr zu sein als ein benebeltes, leeres Gefäß?«
»Nein«, beteuerte Harry. »Nein, nein, ich konnte mir nicht vorstellen, wie das für dich war.«
»Du wusstest es«, widersprach Anne. »Du wusstest,
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