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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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sein, um sich mit ihren üblichen Vogelangelegenheiten abzugeben. Während er noch darüber sinnierte, sah er, dass auch mit dem gegenüberliegenden Ufer des Clamshell Pond etwas nicht in Ordnung war. Der See schien das Ufer hinaufzukriechen, als widersetze sich das Wasser allen Gesetzen der Physik und versuche, aufwärtszufließen. Wenn er nicht irrte, versuchte es, exakt die Richtung einzuschlagen, in die die Vögel flogen.
    Und von Georges Standort im Tal aus gesehen direkt über ihm überlegte Colette gerade, ob sie nach ihm sehen sollte, als es sie beinahe von den Füßen riss. Es fühlte sich an, als hätte man ihr einen großen Haken um die Taille gehakt, und jemand hätte einmal kräftig gezogen. »Was zum …«, schimpfte sie, während sie noch um ihr Gleichgewicht kämpfte, und als sie an sich herabschaute, erkannte sie, dass ihre Füße langsam den Hügel hinabglitten.
    Sie war nicht das Einzige, das sich bewegte. Sogar die Blätter am Boden ballten sich zu Linien zusammen, die alle in Richtung Flussbett deuteten. Haltsuchend griff sie nach dem Ast eines Baumes, doch als sie genauer hinsah, stellte sie fest, dass sich der ganze Baum in die gleiche Richtung verbog; er sah aus wie ein riesiger Kamm aus Holz, nun, da all seine Äste in die gleiche Richtung zeigten. Ein Teil des Stamms war Gastgeber für ein Ameisenvolk gewesen, doch jetzt verließen die Ameisen ihn und marschierten in einer geraden Linie den Stamm hinab, um parallel zu all den Ästen und dem Laub über den Waldboden weiterzuziehen. Es war, dachte sie, als hätte sich das ganze Tal aufgemacht, um einem bedeutenden Besucher, der soeben eingetroffen war, Respekt zu erweisen.
    Sie alle erlebten unterschiedliche Phänomene, doch ohne voneinander zu wissen, erduldeten sie alle das gleiche, sonderbare, beunruhigende Gefühl. Obwohl sie es nicht in Worte fassen konnten, hatten sie alle das Gefühl, die Welt hätte sich plötzlich um mehrere Meilen verlagert und alle Elemente würden sich verbiegen, um mitzuhalten. Nur eine dieser Personen wusste, wo das Epizentrum dieses Sogs liegen mochte.
    »George!«, schrie Colette. »Was tust du?«
    Der Schatten unter dem Eis des Flusses wurde größer und größer, und das ganze Tal erbebte, als das Ding im Dunkel versuchte, sich den Zugang zu dieser Welt zu erzwingen. Aber George achtete nicht darauf. Er kroch auf Händen und Knien voran und setzte sich zu seinem Vater.
    Stanley atmete nicht mehr, und George wusste, dass er fort war. Einen Moment lang starrte er in das Gesicht seines Vaters. Dann griff er in seines Vaters rechte Tasche. Sie war feucht und kalt von dem Wasser des Stausees, trotzdem konnte er ein kleines Paket im Inneren ertasten.
    Er nahm es heraus. Es war ein durchnässtes, fest zusammengerolltes Taschentuch. George wickelte es vorsichtig auseinander, und im Inneren des nassen Stoffs funkelten ihm Glassplitter und winzige Zahnrädchen entgegen, und in der Mitte lag die große, kaputte Uhr selbst.
    Er streichelte eine Seite der Uhr. »Sie ist kaputt«, sagte er, und als er das tat, hallten seine Worte, erfüllt von einem sonderbaren Timbre, durch das ganze Tal.
    Hinter ihm brach das Eis endgültig. Eisschollen wogten auf und zerplatzten, als das Ding in der Tiefe sich heraufstemmte. Sogar das Flussbett selbst faltete sich um das Etwas herum, und bald kam ein riesiges, vernarbtes Maul zum Vorschein und leere, schwarze Augen und scheinbar endlose Meilen voller gelber Zähne. Hätte ein zufälliger Beobachter das Ding aus dem Eis kommen sehen, der Anblick hätte ihn im Handumdrehen um den Verstand gebracht; doch für eine Sekunde hätte er den flüchtigen Eindruck gehabt, einen riesigen Wolf mit schwarzen Augen, einem uralten, scheckigen Fell und einer vernarbten Haut zu sehen, ein Ding, so schrecklich, dass es sich jeglicher Benennung und jeglichem Verständnis widersetzte. Man konnte dieses Ding, das sich seinen Weg durch den Fluss bahnte, nicht einmal fürchten. Man war einfach nichts in seinem Antlitz.
    Doch George wandte den Blick nicht von der Uhr ab. »Aber ich kann sie reparieren«, sagte er leise.
    Der riesige Wolf richtete seine Augen auf ihn. Er tat einen Satz, die Kiefer so weit aufgerissen, sie hätten Erde und Mond zugleich berühren können, hätte er nur gewollt, bereit, diesen winzigen Knaben zu verschlingen und mit ihm den verhassten Schatz, den er in sich trug …
    George schloss die Augen, erhob sich und drehte sich um. »Nein«, sagte er, und wieder hallte seine Stimme durch

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