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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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noch die Sterne in der Höhe. Es war, als wäre der Himmel nie gewesen. Er hatte ihn gänzlich aus dem Sein gesungen.
    Die Wölfe beobachteten ihn verwirrt. Mit allem hatten sie gerechnet, doch niemals mit so etwas. Und als George weitersang, fing die Schöpfung um sie herum zu schrumpfen an.
    George klatschte in die Hände, und als der Laut über die Welt hallte, erloschen all die vielen Lebensformen, als wären sie nie geboren worden.
    Er sang und griff erneut empor und pflückte die Sterne selbst vom Himmel, zerdrückte sie zwischen den Fingern, und dann waren die Sterne fort.
    Er griff hinab und sammelte Berge und Hügel um seine Füße wie Spielzeuge, und er schrumpfte sie einen nach dem anderen, und dann waren die Berge fort.
    Er griff wieder hinab und schöpfte die Wasser aller Seen und Meere und kleinen Pfuhle mit den Händen auf, und als er sie alle hatte, wischte er sich die Hände ab, und dann waren die Ozeane fort.
    Er nahm Sonne und Mond in seine Hände und hob sie empor und blies sie mit einem kleinen Atemhauch fort, so, als wären sie nichts weiter als Staub, und dann waren die Sonne und der Mond fort.
    Dann blickte George hinauf in die Luft und klatschte seine Hände um etwas Unsichtbares zusammen, und schließlich hielt er die Zeit selbst in Händen. Er sang und sammelte ihren ganzen Fluss ein, drückte ihn nieder und weiter nieder, verringerte sie von Äonen zu Millennien zu Jahrhunderten zu Dekaden und dann zu Jahren und Monaten und Tagen und Sekunden, bis nur noch eine Sekunde übrig war, und George ergriff sie und zerdrückte sie, und dann war die Zeit fort.
    Und als das getan war, ergriff George die beiden Enden der Schöpfung selbst und fing an, sie zusammenzupressen, während er sang und jede Note der Weise änderte, und er
    forderte, alles möge niedergehen,
    so weit herab wie es konnte,
    und die Schöpfung fing an zu verschwinden,
    zerfiel in Finsternis, und auch wenn George
    bei dem Anblick dessen, was er tat, zu weinen begann,
    hörte er nicht auf, drückte und presste er weiter,
    bis schließlich
    nichts mehr da war
    nur

36
     
    DIE ZWEITE WEISE
     
    Schau.
    Da ist nichts. Kein Himmel, keine Erde; kein Tag, keine Sonne, keine Zeit; da ist nur nichts. Nichts.
    Außer:
    Da ist ein Junge. Er steht allein in der Finsternis. Um den Jungen ist ein Kreis von Wölfen, und sie beobachten den Jungen aus dem Schatten, fragen sich, was er wohl tun wird. Sie haben nicht damit gerechnet, sich hier wiederzufinden, haben keinesfalls damit gerechnet, mitanzusehen, wie der Junge den Vorhang über die Welt senkt. Und doch hat der Junge genau das getan, und die Wölfe sind nicht sicher, ob sie darüber froh sein sollen oder nicht.
    Der Junge blickt zu den Wölfen hinaus. Er hat Angst, aber er weiß, was er zu tun hat.
    Dies ist eine Vorstellung, sagt sich der Junge. Da ist ein Publikum. Da ist eine Weise. Und die Weise muss gespielt werden. Und das Publikum wird zuhören.
    Also öffnet der Junge den Mund und fängt an zu singen.
    Er singt von einer Welt. Er singt von einer Welt gleich einer Kerzenflamme, ein winziges, heißes Flattern im Dunkel; im ewigen Kampf gegen die Schatten und doch unentwegt sterbend, versinkt sie Stück um Stück in der Finsternis. Dies lässt der Junge Wahrheit werden, vielleicht die einzige Wahrheit, die leicht zu erkennen ist: Die Welt existiert, singt er, und wie alles, das ist, muss auch sie eines Tages sterben. Alles stirbt, singt der Junge, gleich, wie kostbar es auch ist.
    Während er singt, blickt er hinab auf seine Hand, und in seiner Hand liegt eine zertrümmerte Uhr.
    Ja, denkt er im Stillen. Nun weiß ich es. Gleich, wie kostbar es auch ist.
    Er singt von einer Welt, die sich unentwegt verändert, die auf ewig rätselhaft bleibt, einer Welt mit zahllosen schattigen Ecken und verborgenen Wahrheiten, die stets knapp außer Reichweite bleiben. Er singt von einer Welt voller Vorstellungen und Vermutungen, voller verzweifelter Hoffnungen und Träume, immer beherrscht von der Sehnsucht, die Welt mit diesen Träumen in Übereinstimmung zu bringen. Die Welt, so singt diese Sehnsucht, sollte wissen, sie sollte wissen und auf uns hören. Die Melodie dieser Sehnsucht endet nicht; während der Junge von ihr singt, wird deutlich, dass sie so lange überdauern soll wie die Welt selbst. Solange die Welt ist, wird auch immer der Wunsch sein, in die Schöpfung hinauszublicken und etwas zu finden, das diesen Blick erwidert.
    Und als der Junge damit fertig ist, fängt er an, die

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