Silenus: Thriller (German Edition)
neu an.«
»So in der Art«, sagte George. »Ich habe eine Übereinkunft getroffen.«
»Was für eine Übereinkunft?«, wollte sie wissen.
»Ich habe eine Möglichkeit gefunden, die Finsternis für immer zu zerstören«, sagte er. »Die Schlange, die sich um die Welt gewickelt hat, sozusagen dazu zu zwingen, ihren eigenen Schwanz zu fressen. Damit habe ich gedroht, und sie hat nachgegeben.«
»Was hast du dafür bekommen?«
»Zeit«, sagte er. »Zeit für dich, für mich, für Harry. Zeit für alles und jeden. Alles wird nun unbehelligt bleiben, genauso, wie es ist. Jedenfalls für eine Weile.«
»Wie viel Zeit?«
Er sah sie an und zog langsam die Brauen hoch. Colette sah, dass seine Augen zu einem sehr blassen, eigentümlichen Grau verblasst waren. Aber darüber hinaus sah sie auch, dass da etwas tief hinter Georges Augen war, etwas, das zuvor nicht dort gewesen war. Er hatte die Augen von jemandem, der Jahre über Jahre hatte dahinziehen sehen. Jahrhunderte gar. Vielleicht noch mehr. »Willst du das wirklich wissen?«, fragte er.
Sie klappte den Mund auf, dachte aber dann noch einmal nach. »Nein. Nein, eigentlich will ich es nicht wissen.«
Er lächelte schwach und nickte. »Ich glaube, das ist eine weise Entscheidung«, sagte er. Dann legte er sich wieder auf den Boden, drehte sich auf die Seite und fixierte seinen gefallenen Vater. Und in seiner Hand tickte lustig die Taschenuhr, als hätte sie noch so unendlich viele Sekunden zu zählen und könnte es kaum erwarten, sie alle zu erfassen.
Colette sollte recht behalten: Es dauerte über eine halbe Stunde, bis sie trockenen Boden erreicht hatte. Als sie das geschafft hatte, machte sie sich auf die Suche nach den trockensten Zweigen, und gerade, als sie ein anständiges Bündel beisammen hatte, klatschten dicke Regentropfen auf sie hernieder. »Na toll«, sagte sie und suchte Zuflucht unter einer der größten Kiefern, um das Ende des Schauers abzuwarten. Eines Schauers, der ihr äußerst merkwürdig erschien: Die dunklen Wolken schienen in einer geraden Linie auf das Tal zuzuhalten. Bildete sie sich das nur ein, oder war so etwas heute schon einmal passiert? Es konnte aber doch kaum ein zweites Mal passieren, oder?
Der Sturm löste sich auf, so schnell er aufgezogen war, doch ehe Colette sich wieder auf den Weg machen konnte, sah sie jemanden durch das Unterholz stolpern. Es war ein Mädchen mit langen, blonden Haaren in einem leuchtend grünen Kleid, das aus dem Nichts gekommen zu sein schien. Colette hatte es nicht herannahen sehen. Das Mädchen war ein wenig in Bedrängnis, denn es versuchte immer wieder, voranzupreschen, doch die Falten seines Kleides verhakten sich ständig an den zupackenden Zweigen. Als einer es so festhielt, dass es ins Stolpern geriet, und auch nicht wieder loslassen wollte, wie sehr es auch zerrte, wäre das Mädchen beinahe in Tränen ausgebrochen.
»Warte«, rief Colette und trat unter der Kiefer vor. »Lass mich helfen.«
Überrascht blickte das Mädchen auf und hörte auf, an seinem Rock zu zerren. Colette legte ihr Bündel ab und half, das Gewebe des Kleides aus dem Kiefernzweig zu lösen. »So«, meinte sie. »Es ist wohl nicht die klügste Idee, mit so einem schicken Fetzen in den Wald zu gehen.«
»Ich weiß«, gab das Mädchen zurück. »Ich habe nicht daran gedacht, mich umzuziehen. Ich bin einfach hergekommen, so schnell ich konnte.«
»Von wo?«, fragte Colette.
Das Mädchen winkte gelangweilt Richtung Westen. »Du bist Tänzerin, nicht wahr?«, fragte es. »In seiner Truppe?«
»Seiner Truppe?«
»Ja. George. Der Pianist.«
Colette half dem Mädchen auf die Beine. »Ich weiß nicht, woher du George kennst, aber ich glaube nicht, dass es noch eine Truppe gibt.«
Verängstigt blickte das Mädchen sie an. »Dann sind sie … ist er …«
»George? Dem geht es gut. Na ja, ich weiß es nicht. Ich glaube, es geht ihm gut. Schau, du kannst ihn von hier aus sehen.« Sie führte das Mädchen zu einer kleinen Felszunge und zeigte zwischen den Bäumen hindurch zu der Stelle, an der George lag.
Das Mädchen stieß einen schweren Seufzer aus, als es ihn sah. »Gott sei Dank!«, sagte es.
»Er ruht sich aus«, berichtete Colette. »Er hat einige schwere Strapazen hinter sich. Und er hat gerade seinen Vater verloren. Darum glaube ich, im Augenblick ist es besser, ihn in Ruhe zu lassen.«
»Oh … Oh, das tut mir so leid . Aber er kommt wieder ganz in Ordnung?«
Colette dachte darüber nach. »Da bin ich nicht so
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