Silenus: Thriller (German Edition)
verändert, das wurde ihr klar, als sie sich umblickte. Die Bäume bogen sich nicht mehr in Richtung Tal, und die aufgereihten Blätter waren nicht mehr da. Um sie herum war nur noch gewöhnlicher Waldboden. Jemand oder etwas war hier gewesen, so sagte sie sich, aber es hatte die Dinge verändert oder etwas zurückgelassen, ehe es wieder verschwunden war, doch sie konnte es nicht sehen.
Sie stand wieder auf. Dann sagte sie: »George« und spurtete den Hang hinab.
Colette rannte am Flussufer entlang, in der Hoffnung, dort eine Spur von Stanley oder George zu finden, doch da war nichts außer umgestürzten Bäumen und etlichen umgekippten Felsbrocken. Dann erblickte sie eine Gestalt, die sich am Ufer über etwas beugte. Sie war hellblau gekleidet, aber es war weder George noch Stanley …
Die Gestalt blickte auf und lächelte entschuldigend. »Hallo, Lettie«, sagte Silenus.
Colette starrte ihn verblüfft an. Er trug ein merkwürdiges blaues Sakko und eine karierte Hose, und auf dem Stein neben ihm thronte eine saubere Melone. Einen Moment gaffte sie ihn nur an. »Harry?«, rief sie dann.
Er nickte, sah aber recht traurig aus. »Hallo«, sagte er noch einmal.
Lachend rannte sie zu ihm und wollte ihn umarmen, doch als sie sah, worüber er kauerte, blieb sie abrupt stehen. Ihr Glücksgefühl versiegte, und sie schlug voller Entsetzen die Hände vor den Mund.
George und Stanley lagen Seite an Seite am Ufer. Stanleys Arme waren offenkundig gebrochen, und in seiner Körperseite klaffte eine schreckliche Wunde. Seine Haut war bleich und wächsern, Lider und Lippen färbten sich bereits blau. Colette hatte noch nie jemanden in solch einem Zustand gesehen, doch sie wusste sofort, dass er tot war.
Silenus streckte die Hand aus, strich sacht über Stanleys Wange und schniefte leise. »Ich … ich habe nie gedacht, dass es einmal so kommen könnte.«
»Oh nein«, sagte Colette und ging zu George.
Er sah nicht so schlimm aus wie Stanley. Seine Haut war immer noch rosa, und er trug keine Wunden. Aber sie sah, dass er nicht atmete, und als sie seinen Hals berührte, war der zwar warm, doch sie spürte keinen Puls.
»Was ist passiert?«, fragte Silenus.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich war oben auf dem Hügel, und … und dann hat sich alles verbogen , und es war … Warte, was ist mit dir passiert? Ich … ich habe dich sterben sehen, Harry! Sie streckte beide Arme aus und griff mit der einen Hand nach seiner Schulter, während sie mit der anderen sein Gesicht betastete. »Ich habe es gesehen.«
»Ja, nun. Sagen wir einfach, es hat nicht hingehauen. Ich bin, so schnell ich konnte, von der Quelle hergekommen. Und ich … ich habe sie gerade hier gefunden. Stanley ist … Er ist …«
»Er hat das Tal geflutet«, berichtete Colette. »Er hat die Wölfe von uns abgelenkt, damit wir entkommen konnten, und dann hat er sie ertränkt. Ich schätze, dabei ist er verunglückt. Es tut mir leid, Harry.«
Silenus nickte und hörte nicht auf, Stanleys Gesicht zu streicheln.
»Was ist mit George los?«, fragte sie. »Ich kann nicht erkennen, was mit ihm ist. Er hat keinen Puls, er atmet nicht … oh, George.«
»Er ist nicht tot. Er ist nur … nicht hier.«
»Was meinst du mit ›nicht hier‹?«
»Ich meine George, sein Selbst, ist im Augenblick woanders. Außerhalb seines Körpers. Wo, kann ich nicht einmal ansatzweise vermuten, aber es muss sehr, sehr weit entfernt sein.« Er schaute sich zu den Hügeln um sie herum um, blickte zum Himmel auf. »Weiter, als ich fühlen kann. Ich hoffe nur …«
Aber da öffneten sich flatternd Georges Augenlider, und Colette packte Silenus’ Schulter. »Harry!«, sagte sie, und beide blickten herab und knieten sich neben George.
George regte sich nicht und sagte nichts. Er starrte nur zum Himmel hinauf, schien aber nichts zu sehen.
»George«, rief Silenus. »George, kannst du mich hören?«
Wenn er es tat, so zeigte er es nicht.
»George?«, fragte Colette. »Ist alles in Ordnung?«
George blinzelte langsam. Dann, als würde er versuchen sich zu erinnern, wie sein Körper funktionierte, hob er den rechten Arm und musterte seine Hand. Silenus und Colette sahen, dass er etwas in der Hand hielt, etwas, das sie vorher nicht bemerkt hatten. Colette hätte sogar schwören können, dass er noch vor gerade einer Sekunde nichts in der Hand gehabt hatte.
»Ich hielt es in meiner Hand«, sagte er mit leiser, brüchiger Stimme.
Er öffnete die Hand, und eine Taschenuhr kam
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