Silenus: Thriller (German Edition)
sicher, aber ich glaube schon. Es fühlt sich an, als würde alles in Ordnung kommen, wenigstens für den Moment.«
Das Mädchen nickte.
»Du bist die, die ihm in Hayburn geholfen hat, nicht wahr?«, fragte Colette. »Die Hirtin.«
»Ich bin seine Gönnerin«, bejahte das Mädchen. »Ich habe gerade vor einer Weile gespürt, dass er in Schwierigkeiten ist, also bin ich hergeeilt, um ihm zu helfen. Er war da, und dann war er nicht da. Das war äußerst merkwürdig, aber ich konnte doch nicht zulassen, dass er verletzt wird.«
»Tust du das für alle, die dich als ihre Gönnerin bezeichnen?«
»Ich bin sonst niemandes Gönnerin«, sagte das Mädchen ein wenig bekümmert.
»Ich verstehe.«
»Was ist hier passiert? Ich kann George fast immer finden, aber nun war er plötzlich fort … und dann habe ich gespürt, dass er woanders war.«
»Ich weiß nicht, was passiert ist«, antwortete Colette. »Er hat etwas getan, aber ich kann im Moment nicht sagen, was.« Sie musterte das Mädchen aus dem Augenwinkel. Es starrte George ungeniert sehnsüchtig an. »Er hat es dir angetan, richtig?«
»Was?«, gab das Mädchen erschrocken zurück. »Angetan? Wie meinst du das? Wer?«
»George.«
Eine starke Röte stieg dem Mädchen in das Gesicht. »Na ja, ich würde nie … eigentlich ist es unziemlich für eine Gönnerin …« Es errötete noch mehr. »Na ja, vielleicht nicht so unziemlich.«
Colette schenkte ihm ein ironisches Lächeln. »Ich verstehe.«
Das Mädchen kämpfte kurz mit sich und sagte dann: »Ich komme mir furchtbar dumm vor.«
»Nicht«, beruhigte sie Colette, bückte sich und hob ihr Bündel auf. »Komm, begleite mich. Ich kann dir einen Gefallen tun.«
»So?«
»Sicher. Ich werde dir all deine Fragen über George beantworten, wenn du mir etwas verrätst.«
»Und das wäre?«, fragte das Mädchen, als es Colette durch den Wald folgte.
»Na ja, wie ich schon sagte, ich glaube, es gibt keine Truppe mehr. Und du bist … Wie drücke ich es richtig aus? Du bist vermutlich weit gereist.«
»Ich habe schon die meisten Orte zu irgendeinem Zeitpunkt besucht«, nickte das Mädchen nicht ohne Stolz.
»Ja, genau darum geht es«, sagte Colette. »Kennst du einen Ort, an dem … an dem die Leute bereit sind, einer Künstlerin wie mir zuzusehen?«
»Wie dir?«
»Ja, wie mir.« Colette blieb stehen und musterte das Mädchen. »Einer Farbigen.«
»Oh«, machte das Mädchen und dachte nach. »Nun, ich bin ziemlich sicher, da kann ich gleich ein paar aus dem Stand heraus nennen.«
»Interessant. Komm mit«, forderte Colette sie auf. »Ich möchte alles über diese Orte erfahren.«
Als Colette zurückkehrte und ein Feuer entfachte, kam auch Silenus wieder zu ihnen. Zuvor war er zu seinem Büro gegangen, dessen Eingang in dem Felsen am Fluss immer noch offen stand, und hatte ein großes Stück Segeltuch und Schaufeln geholt. »Für Stanley«, sagte er.
George und Colette nickten. Sie legten Stanley in das Segeltuch, und alle halfen, ihn einzunähen. George hielt manchmal inne und starrte einfach nur den Mann in der Stoffbahn an. Wann immer das geschah, übernahm Silenus oder Colette wortlos seine Arbeit.
Als sie fertig waren, trugen sie ihn auf eine Hügelkuppe. »Ich will, dass er den Himmel sieht«, bestimmte George.
Zu dritt schaufelten sie das Grab. Der Boden war feucht und gab leicht nach. Dann legten sie ihn in die Erde, bedeckten ihn mit Steinen und füllten Erde auf, und schließlich fertigten sie ein Grabmal aus Ästen, und George ritzte eine Inschrift hinein.
STANLEY SILENUS
GELIEBTER VATER
PATER OMNIPOTENS AETERNA DEUS
»Möchtest du etwas sagen?«, fragte Silenus.
George schüttelte den Kopf.
»Nicht?«, hakte Colette nach.
»Er war mein Vater«, sagte er. »Alles, was er mich wissen lassen wollte, war, was ich ihm bedeutet habe. Und das weiß ich nun. Das reicht.«
Als sie fertig waren, kehrten sie zurück zu ihrem Lagerfeuer. Silenus zitterte sogar noch, als er dicht an den Flammen war, und schließlich erkannten sie, dass er nicht wegen der Kälte zitterte.
»Es tut mir leid, Harry«, sagte George.
Silenus starrte nur schweigend in die Flammen.
»Es war die einzige Möglichkeit. Es fühlt sich beinahe an, als hätte die Weise darauf gewartet, dass ich sie verändere und verbrauche. Ich bin nicht sicher. Ich fange jetzt schon an, Teile von dem, was geschehen ist, zu vergessen. Es ist, als wäre das zu groß für mich, um es im Gedächtnis zu behalten.«
»Also werden wir es nie
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