Silenus: Thriller (German Edition)
fragte das Mädchen in Weiß mit den Diamanten. » Unserem Hotel? Du hast gesagt, so nahe würden sie uns nie kommen!«
»Das reicht«, sagte Silenus, und die anderen verstummten. Er zog an seiner Zigarre. Dann fragte er: »Wie heißt du, Junge?«
George hatte sich verzweifelt gewünscht, er bekäme Gelegenheit, etwas darüber zu erzählen, wer er war und warum er hier war, doch nun brachte er nicht mehr hervor als: »George.«
»George, mh?«, sagte Silenus. »Tja, George, ich werde dir gleich den Hals zudrücken. Bist du bereit dafür?«
»Was …«
Silenus’ Hand schoss vor und packte George unter dem Kinn, sein Daumen drückte sich schmerzhaft an den äußeren Rand seines Kiefers. George würgte, versuchte, sich zu befreien, aber die starke Frau hielt ihn fest. Silenus’ blaue Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, und er neigte den Kopf vor und zurück, während er versuchte, sich ein genaueres Bild von George zu machen.
»Halt still«, sagte er. »Halt einfach still, ja?«
George versuchte es, aber Silenus’ Griff war so kraftvoll und schmerzhaft, er konnte nicht anders, er musste versuchen, sich aus ihm zu lösen. Während der Mann ihn musterte, hatte George das eigenartige Gefühl, er würde in ihn hinein blicken, so, als könnte Silenus all seine Lügen und Erinnerungen in den Tiefen seines Geistes sehen oder ihre Gestalt durch die Haut an seinem Hals ertasten.
»Also, George, erzähl mir die Wahrheit«, sagte Silenus mit auffallend leiser, sanfter Stimme. »Haben diese Männer in Grau dich geschickt, damit du einen von meinen Leuten ausweidest? Oder vielleicht mich?«
George hustete und schüttelte den Kopf.
»Bist du hier, um uns zu sabotieren? Oder auszuspionieren?«
Wieder schüttelte er den Kopf.
»Warum bist du wach, George? Warum schlafwandelst du nicht wie all die anderen?«
»K-keine … keine Ahnung …«
Silenus fixierte ihn noch einen Moment länger. Dann grunzte er und zog die Hand zurück. George keuchte und rieb sich den Hals, während Silenus ihn mit undurchschaubarer Miene beäugte. »Ist das nicht interessant?«, fragte er. »Gerade, wenn ich es am wenigsten brauchen kann.« Er nickte der starken Frau zu. »Lass ihn los.«
Sie ließ von ihm ab, und als sie das tat, strich sie ihm kurz über den Rücken. »Tut mir leid«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Also schön«, sagte Silenus. »Bedauerlicherweise sagt der Junge die Wahrheit, zumindest glaubt er das. Was kein Trost ist.« Er seufzte und steckte den Kopf zur Tür hinaus, um einen Blick auf die Menge zu werfen. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, wenn uns diese Widerlinge schon so nahe gekommen sind. Also, ich sage euch was – Stanley, du bringst Colette und Franny und unsere Requisiten zum Bahnhof. Professor Tyburn und ich werden mit diesem Jungen zum Hotel gehen und nachsehen, ob er nur ein Spinner ist oder ob er zufällig recht hat. Auf jeden Fall treffen wir uns am Bahnhof.«
Der Cellist, vermutlich Stanley, legte die Stirn in Falten und griff in seine Tasche. Dann brachte er eine Tafel zum Vorschein, an der ein Stück Kreide festgebunden war, ergriff die Kreide und schrieb hastig mit sauberer, klarer Handschrift: SICHER?
»Ich schaffe das schon«, sagte Silenus. »Kingsley, haben Sie Ihre Kanone?«
»Die habe ich«, sagte der Professor und klopfte an seine Seite.
»Halten Sie sie griffbereit«, sagte Silenus. »Zielen Sie auf den Jungen, vor allem, wenn er nervös wird. Ich weiß nicht, was wir dort zu sehen bekommen werden – ich kann mir nicht vorstellen, wie sie uns in dem Hotel gefunden haben können –, aber hier ist etwas faul, und das schmeckt mir nicht.« Er sah George an und fügte hinzu: »Es macht dir doch nichts aus, uns bei unserem kleinen Ausflug zu begleiten, George?«
George erwiderte seinen Blick wütend. Nie hatte er erwartet, dass ihr erstes Treffen so verlaufen würde, trotzdem schüttelte er den Kopf.
Silenus lächelte, doch in dem Lächeln lag keine Spur von Humor. »Gut«, sagte er. »Aber ehe wir aufbrechen, lauf und hol mir meinen Hut, ja? Er ist irgendwo hier hinten gelandet.«
George war verärgert, dass er auf diese Weise herumkommandiert wurde, dennoch ging er in die entfernteste Ecke hinter der Bühne und machte sich auf die Suche. Kaum war er fort, unterhielten sich die Künstler leise.
Er fand den Zylinder hinter dem Gerüst des Bühnenvorhangs, und als er ihn aufhob, stellte er fest, dass er auffallend schwer war. Er blickte hinein und sah, dass das Futter mit
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