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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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Innere und glitt an funkelnden Steinen ab. In seinen Außenwänden befanden sich Risse, und aus einem davon ertönte eine Stimme, die leise in der Dunkelheit vor sich hin sang. Und irgendwo im Inneren wirbelte Licht, wo kein Licht hätte sein sollen, tanzte über die dunklen Steinwände und wartete auf jemanden, der es berührte, der lauschte und sah  …
    Das Erinnerungsbruchstück gab ihn frei, und George fiel keuchend zurück auf seinen Sitz. Silenus dirigierte immer noch die beiden Künstler, die sangen und spielten, als sei nichts von all dem geschehen. Um sie herum wurde das zweite Stück noch stärker, intensivierten sich die Stimmen der unsichtbaren Sängerinnen, und dann war es, als hätte sich ein Riss im Universum gebildet und George könnte hinausschauen, die endlose Maschinerie sehen, die die Welt am Laufen hielt. Und dann, für einen Moment, sah er sogar noch mehr  …
    Ein Grollen ging durch das Theater, und die Lichter erzitterten. Das Echo des Stücks spülte über das Publikum hinweg, wurde schwächer und verstummte. Die Musik verklang, doch Silenus, der Cellist und das Mädchen standen immer noch auf der Bühne – der Bogen des Cellisten schwebte einige Zentimeter über den Saiten.
    George, immer noch benommen, holte Atem und sah sich um. Niemand klatschte. Der Rest des Publikums saß da wie erstarrt.
    Silenus und die beiden Künstler richteten sich auf, traten an den vorderen Rand der Bühne und verbeugten sich. Dann sammelten der Cellist und das Mädchen in Weiß ihre Sachen ein und gingen. Silenus folgte ihnen gemächlich und wühlte dabei in seinen Manteltaschen. Am Bühnenrand blieb er stehen, zog eine kurze, dünne Zigarre hervor und steckte sie in den Mundwinkel. Mit dem Daumennagel entzündete er ein Streichholz, hielt die Flamme an die Zigarre, zog an ihr und atmete eine Rauchwolke aus. Dann blickte er ein letztes Mal zum Publikum hinaus, ein höhnischer, bitterer Blick, und sagte: »Scheiß Rauchverbot. Pah«, und ging ab.

5
     
    HEIRONOMO SILENUS
     
    Mehrere Minuten regte sich niemand. George fühlte sich immer noch benebelt und irgendwie unwohl. Dann fingen die Leute an, sich auf ihren Sitzplätzen zu rühren und umzuschauen, als wären sie aus einem Traum erwacht. Der Dirigent erschrak, als er das Knarren der Sitze hörte, streckte die Hand aus und stupste den ersten Geiger an. Der Geiger schnappte kurz nach Luft und blinzelte ihn für einen Moment verwirrt an, machte sich aber hastig bereit. Der Rest des Orchesters tat es ihm gleich, und die Musiker begannen halbherzig mit einem weiteren Walzer. Zwei Mimen mit blauen Overalls und breitrandigen Hüten traten auf die Bühne, sahen sich um, als wären sie überrascht, sich dort wiederzufinden und begannen mit ihrer Vorstellung. Einer tat, als würde er Äpfel aus einem Korb mit dem anderen teilen. Beide hatten augenscheinlich Angst.
    »Entschuldigen Sie«, sagte eine Stimme. George blickte auf und sah, dass der Mann neben ihm aufgestanden war und an ihm vorbei wollte. Auch die übrigen Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen.
    George, immer noch verwirrt, zog die Knie an, um den Mann vorbeizulassen. »Die miesen Nummern bringen sie zum Schluss«, vertraute ihm der Mann an. »Um das Publikum zum Aufbruch zu ermuntern, wissen Sie?«
    Zwar war George immer noch völlig perplex, doch er schaffte es zu sagen: »Natürlich weiß ich das. Man nennt das im Übrigen den Kehraus, nur, damit Sie Bescheid wissen.«
    Der Mann zuckte mit den Schultern und gesellte sich zu den übrigen Zuschauern, die vor dem Ausgang Schlange standen. Sie alle wirkten verwirrt, beinahe so, als hätten sie etwas liegen lassen, könnten sich aber nicht erinnern, was.
    Die beiden Mimen auf der Bühne brachen ihre Vorstellung ab, und das Orchester verstummte, eine Entwicklung, die niemanden sonderlich zu stören schien. Vielmehr starrten die Leute mit einem Ausdruck der Sehnsucht in die Luft. Die beiden Mimen schlurften mit einem inhaltslosen Lächeln von der Bühne. Nach einem weiteren Moment der Verwirrung folgte George den anderen Zuschauern.
    Einmal draußen angekommen, stand er mit dem Rest der Meute auf der Straße und atmete tief durch. Die Nachtluft wirkte viel frischer als die Luft im Theater, und George und die anderen Zuschauer gierten danach, so viel davon in ihre Lungen zu saugen, wie sie nur konnten. Doch George fiel auf, dass alles irgendwie verändert schien. Die Nacht wirkte nicht mehr so dünn und unwirklich. Der Mond fühlte sich nicht mehr so

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