Silenus: Thriller (German Edition)
wäre diese Unterhaltung anders verlaufen.
Immer noch lachend schüttelte sie den Kopf, doch dann schien sie aus dem Augenwinkel etwas wahrzunehmen. »Wer ist das?«
»Wer ist wer?«, fragte George, und dann zog ein Spinnennetz aus Blitzen über den Himmel, und er bemerkte, wie zwei Gestalten mit einer mächtigen Truhe die Straße hinuntergingen. Als sie näher gekommen waren, sah er, dass es Stanley und Silenus waren, und sie hasteten, so schnell sie nur konnten, durch den Schlamm.
»Macht die Tür auf!«, brüllte Silenus ihnen zu.
George stand auf und stieß die Tür auf. Silenus und Stanley stürmten die Stufen hinauf und stürzten, beladen mit dem schweren Überseekoffer, durch die Tür in das Hotel. George fiel das tiefschwarze Holz auf, und er erkannte, dass dies der Überseekoffer aus dem Büro im Obergeschoss war.
»Warum haben Sie den in die Stadt geschleift?«, wollte er wissen.
»Weil ich das Training brauche«, blaffte ihn Silenus an. Obwohl die beiden Männer erschöpft aussahen, ließen sie die Truhe nicht einfach fallen, als sie drinnen waren, sondern senkten sie sacht auf den Boden ab. Dabei hielt Silenus den Kopf schief, als würde er auf Geräusche lauschen, die ihm verrieten, dass drinnen etwas zerbrochen war. Als nichts dergleichen ertönte, seufzte er voller Erleichterung.
»Habt ihr gefunden, was ihr gesucht habt?«, fragte Colette.
»Schnüffel du nicht in meinen Privatangelegenheiten herum«, sagte Silenus, »und ich schnüffele nicht in deinen herum.«
»Aber so privat kommt mir diese Angelegenheit gar nicht vor.« Sie musterte die sich unter den beiden ausbreitende Pfütze, die inzwischen groß genug war, dass sie ihre Schuhspitzen berührte.
Silenus bedachte sie mit einem finsteren Blick und stampfte die Treppe hinauf. Wasser troff von ihm herab auf die Stufen. Colette seufzte und folgte ihm, darauf bedacht, die schlammigen Fußabdrücke zu meiden.
»Geht es Ihnen gut?«, erkundigte sich George bei Stanley.
Der nickte und setzte sich auf einen Stuhl. Stanley wirkte nicht verärgert, vielmehr unfassbar müde, und er saß so gebückt, als hätte er seinen Rücken überanstrengt.
»Was ist passiert?«, bohrte George weiter.
Stanley schien mit sich zu ringen, ob er die Frage beantworten sollte, doch dann zuckte er mit den Schultern, zog seine Tafel hervor und schrieb: WIR HABEN ETWAS GEFUNDEN, ABER ES WAR NICHT DAS, WAS WIR GESUCHT HABEN.
George überlegte, ob er sich erkundigen sollte, was das zu bedeuten hatte, wusste aber, dass er keine Antwort erhalten würde. Er sah, dass der Überseekoffer beinahe genauso viele Schlösser aufwies wie Silenus’ Tür und so aufwendig poliert war, dass er in einem zarten Schimmer erstrahlte; er konnte sogar sein Gesicht in der Holzoberfläche erkennen, das ihm verunsichert entgegenstarrte. Er streckte die Hand aus, um die Truhe zu berühren.
Ehe es so weit kam, räusperte sich Stanley und schrieb: HILFST DU MIR, SIE RAUFZUBRINGEN? Und sein Gesicht sah so ausgezehrt und müde aus, dass George einfach nicht Nein sagen konnte.
8
DIE ERSTE PROBE
Als am nächsten Tag die Zeit gekommen war, mit der ersten Probe zu beginnen, blieb George kaum eine Chance, sich vorzubereiten. Am Morgen wurde er von lauten Schlägen an seiner Zimmertür geweckt. Er öffnete und sah Colette vor sich, die mit drei schweren Taschen in den Händen auf dem Flur stand, welche sie ihm ohne Umschweife entgegenschleuderte und sagte: »Zeit, aufzubrechen. Bring die zum Theater.«
»Was?«, fragte George. »Ich soll die tragen? «
»Wenn dir eine bessere Möglichkeit einfällt, sie dorthin zu schaffen, dann nur zu«, sagte Colette.
Grollend lud sich George die Taschen auf die Arme. Im Otterman’s war er von körperlicher Arbeit weitgehend verschont geblieben, und die gleiche Behandlung hatte er auch von der Truppe seines Vaters erwartet. Aber als er gerade daran dachte, sich zu beschweren, fiel sein Blick auf Colettes leuchtend grüne Augen, und er ertappte sich dabei, sich stattdessen umso mehr Mühe zu geben.
Vom Morgen an herrschte totales Chaos. George verbrachte den Tag überwiegend im Laufschritt: Er rannte zwischen Theater und Hotel hin und her, holte Gepäck und Requisiten, die nicht vorausgeschickt worden waren; er rannte hinter der Bühne herum, holte Noten, Kolophonium und Kreide für Frannys Hände; und wenn ihm bei all diesen Arbeiten ein unausweichlicher Fehler unterlief, dann musste er noch schneller laufen, um ihn zu korrigieren, ehe Silenus
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