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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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oder Colette etwas merkten.
    Die einzig wirklich kritische Situation ergab sich, als er zu spät auf der Bühne erschien, um beim Aufbau von Kingsleys Kulisse zu helfen. »Stören wir Eure Pläne für das Mittagessen, Euer Hoheit?«, brüllte Silenus von einem Balkon herab, als er endlich eintraf.
    »Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte!«, rief George. Zuerst wusste er nicht einmal, wozu er benötigt wurde – die Kulisse bestand lediglich aus einer großen Rolle Papier, die auf der Bühne in Position gebracht werden musste –, aber als er das Ende des Seils ergriff, um sie hochzuziehen, erkannte er, dass das Ding erschreckend schwer war.
    Nachdem sie es aufgehängt hatten, zog Silenus die Kulisse aus, um sich zu vergewissern, dass sie die Reise unbeschadet überstanden hatte. George erschrak, als er sah, dass das Papier vollkommen leer war. Das Bild des gespenstischen, verfallenen Farmhauses war verschwunden. Aber Silenus störte sich nicht daran. Er nickte nur und sagte: »Gut. Wir proben mit ausgezogener Kulisse und rollen sie später wieder auf.«
    »Aber sie ist leer«, sagte George.
    »Na und?«
    »Sollte da nicht irgendetwas zu sehen sein?«
    »Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte Silenus und wandte sich der nächsten Arbeit zu. »Darum kümmern wir uns schon.«
    George warf noch einen besorgten Blick auf die Kulisse, bevor sie hinter die Bühne gingen. Das sonderbare Bild des Farmhauses hatte ihn zutiefst beeindruckt, und er wollte es noch einmal sehen.
    Seine Besorgnis hinsichtlich der Kulisse sollte bald noch zunehmen, allerdings auf eine andere Art, als er erwartet hatte. Man schickte ihn los, um Aspirin für Colette zu holen. Als er zurückkam, stürmte er in das Theater und hastete zu ihrer Garderobe, hielt aber inne, als ihm die Vorbereitungen ins Auge sprangen, die auf der Bühne vorgenommen worden waren. Die Kulisse hing immer noch, war aber nicht mehr leer: Das Bild des blau-grauen Farmhauses war wieder da, und die Bühne lag in dem sonderbaren Mondschein, der durch das große Fenster fiel. Aber nun zeigte sich in der unteren rechten Scheibe des Fensters auf dem Bühnenbild das Gesicht eines Jungen, der hindurchlugte und lächelte – und wenn die Fantasie ihm keinen Streich spielte, so sah der Junge mit seiner Knollennase, dem kräftigen Kinn und den auffälligen Brauen George bemerkenswert ähnlich. George überkam das überwältigende Gefühl, der Junge würde ihn beobachten, was ihn so erschreckte, dass er hinter die Bühne flüchtete, um Silenus davon zu erzählen.
    Silenus prustete, als er sich Georges Geschichte angehört hatte. »Dreistes Drecksding«, sagte er. »Achte gar nicht darauf. Es hat sich nur einen Spaß mit dir gemacht.«
    Aber darüber, wie eine gewöhnliche Segeltuchkulisse jemanden im Zuschauerraum verspotten konnte, sagte er nichts. Und als George das nächste Mal hinsah, war die Kulisse wieder leer.
    Die Angehörigen der Truppe waren nicht minder sonderbar. Da war beispielsweise Franny, die behandelt wurde wie ein Requisit, obwohl sie eine der beeindruckendsten Künstlerinnen war. »Geh und bring Franny da rüber«, lautete eine ganz gewöhnliche Anweisung von Silenus im Zuge des Bühnenaufbaus. Und oft benahm sich Franny auch wie ein Requisit. Sie kam jeder Bitte bereitwillig nach, hatte sie aber nichts zu tun, so tat sie buchstäblich gar nichts. Sie stellte lediglich einen kleinen Stuhl in eine Ecke, in der er niemandem im Weg war, setzte sich und starrte die Wand an. Nur ein Mal, als George gerade an ihr vorbeirannte, tat sie etwas. Sie sagte: »Hallo, Bill.«
    »Ich bin George«, antwortete er.
    »Oh, ja«, sagte sie lächelnd. »Natürlich bist du George.«
    Professor Kingsley Tyburn war weitaus weniger zugänglich. Er tat, als wäre die Verteilung seiner Puppen auf der Bühne eine Art fürchterliche Ultima Ratio, saß neben den sargähnlichen Kisten und las laut aus Madison’s Budget vor (eine verlässliche Quelle für Scherze, die sich für kleine komödiantische Auftritte eignen) oder aus der Bibel, denn er war ein äußerst religiöser Mann. George graute es davor, ihm irgendwelche Nachrichten zu überbringen, denn Kingsley pflegte ihn wegen jeder Störung endlos zu schelten, und mehr als nur ein Mal empfand er Kingsleys Kisten und sein Verhältnis zu selbigen als recht beängstigend. Einmal warf er einen Blick in Kingsleys Garderobe und sah den Mann bäuchlings ausgestreckt vor sich, die Arme über die Kisten gelegt, und es sah beinahe aus, als

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