Silicon Jungle
entdeckt hatte, etwas, das andere Wissenschaftler, für berichtenswert hielten, damit auch zukünftige Forscher Gelegenheit hätten, darüber zu lesen.
Mit diesen Gedanken kamen allerdings auch Erinnerungen daran hoch, wie das Leben eines Doktoranden aussah. Hochtrabende Grübeleien hatten nichts mit dem Alltag eines Akademikers zu tun. Bändeweise wissenschaftliche Aufsätze zu lesen und regelmäßig eigene zu veröffentlichen wurde einfach erwartet, nicht unbedingt geschätzt. Es diente zu kaum mehr als zum Nachweis dafür, dass er nicht einfach seine Zeit vertrödelte.
Gleichwohl konnte er eine gewisse Missgunst nicht abschütteln, während er Mollys Kopien inspizierte. Mit der gleichen Bewunderung, die manch einen dazu trieb, Bücher zu begehren und zu sammeln, betrachtete er die chaotischen Stapel aus Forschungsartikeln. Sie um sich zu haben war so, als hätte er Zugang zu reinem Wissen, das darauf wartete, verstanden zu werden. Selbst wenn sie Fachgebieten entstammten, die mit seinem Studium nichts zu tun hatten, fand er es beruhigend, dass die Welt, die er hinter sich gelassen hatte, nach wie vor existierte.
Das Essen und die locker verplauderten Stunden danach waren weitaus angenehmer verlaufen, als sie beide erwartet hätten. Sicherlich hatte geholfen, dass Molly Doktorandin an der Brown University im Fachbereich Anthropologie und Politologie war und derzeit im Silicon Valley für ihre Dissertation recherchierte – wie genau sie hier gelandet war, hatte Stephen zwar noch nicht ganz verstanden, aber das würde sich bestimmt noch ergeben. Ihre gemeinsamen Erfahrungen als Doktoranden, ebenso wie die Tatsache, dass sie beide jetzt bei GreeneSmart beschäftigt waren, lieferte jedenfalls reichlich Gesprächsstoff. So wurde es halb sechs Uhr morgens, bis sie zu müde waren, um weiterzureden.
Der Besuch bei Molly war also alles andere gewesen als das Debakel, das Stephen befürchtet hatte. Als er sich am frühen Morgen verabschiedete, beschwor sie ihn, sich für den Praktikantenwettbewerb bei Ubatoo anzumelden. Jetzt war sie sicherer denn je, sagte sie, dass er sich bei GreeneSmart unter Wert verkaufte und viel mehr erreichen könnte.
Aber als Praktikant arbeiten? Hatte er nicht erst vor kurzem eine eigene Firma aufgebaut und ein großes Team geleitet, wandte er ein. Nein, rief sie ihm in Erinnerung, er hatte die letzten zweieinhalb Jahre bei GreeneSmart vergeudet, mehr nicht. Seine eigene Firma, erklärte sie weiter, war längst Geschichte. An Offenherzigkeit mangelte es ihr jedenfalls nicht. Er hatte sich um seine Mitarbeiter besser gekümmert, als sie hätten erwarten können. Aber nun solle er anfangen, sich um sich selbst zu kümmern.
Zugegebenermaßen war Stephen in den sechs Stunden, seit Molly die Ubatoo-Perspektive erstmals erwähnt hatte, der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf gegangen und hatte sich immer wieder in den Vordergrund gedrängt, wenn mal eine Gesprächspause eingetreten war. Und natürlich hatte er zugesagt, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen. Allerdings konnte er nicht genau sagen, ob die sich hier anbahnende Verliebtheit ihn nicht dazu gebracht hatte, vorschnelle Versprechungen zu machen.
Was Trisha Stunden zuvor nicht hatte wissen können, sich aber gern als Verdienst anrechnen lassen würde, war, welch entscheidende Rolle sie dabei gespielt hatte, Stephen und Molly zusammenzubringen – auch wenn es ihr ursprünglich bloß darum ging, nicht stundenlang in Mollys kleiner Wohnung auf einen neuen Computer starren zu müssen.
TOUCHPOINTS
September 2002.
Atiq Asad hielt sich für einen bescheidenen Mann. Er steuerte zügig auf einen Lehrstuhl im Fachbereich Informatik an der UC -Berkeley zu, seine Studenten ergatterten Stellen an den angesehensten und renommiertesten Instituten im Land, und seine Forschung auf dem neu entstandenen Gebiet des Data Mining brachten ihm Lob und Ehre vonseiten seiner Kollegen ein. Er hatte allen Grund, stolz zu sein, doch aus Angst, überheblich zu wirken, sprach er niemals laut über seine Erfolge.
Im Schnitt wurde Atiq etwa einmal pro Monat von Anwerbern für Start-up-Unternehmen im Silicon Valley, von denen er noch nie gehört hatte, angerufen. Um zu vermeiden, dass reine Höflichkeit mit Interesse verwechselt wurde, reagierte er meist lieber gar nicht. Das letzte Unternehmen, das sich mit ihm in Verbindung gesetzt hatte, Ubatoo.com , war ihm immerhin nicht gänzlich unbekannt. Als der Anwerber ihn das dritte Mal auf dem Handy anrief, ging er aus
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