Silicon Jungle
Büro.
Er kroch unter den überdimensionalen Spanplattentisch, den Allison für sich ergattert hatte – mit dem Argument, dass die Personalabteilung ein gutes Image verbreiten müsse, um wirklich gute Leute einzustellen. Was er gerade machte, reichte nicht annähernd an seine Arbeit für SteelXchange heran, war aber auch längst nicht so übel, wie einige andere Hilferufe von GreeneSmart-Angestellten.
» Wir müssen das Eisen schmieden, solange es heiß ist!«, sagte Stephens Mitbewohner Arthur beschwörend. »Das ist eine einmalige Chance. Wenn wir das jetzt nicht machen, macht es jemand anders«, fuhr er beschwörend fort. »Du spinnst«, hielt Stephen die ersten paar Male halbherzig dagegen. Doch schon drei Wochen später hatte Stephen seine Dissertation aufgegeben, ein Jahr vor deren voraussichtlichem Abschluss. Er verzichtete auf eine schöne Urkunde, die ihn als Doktor der Informatik auswies, und gründete stattdessen mit Arthur ihre erste Firma, Pittsburgh Steel Exchange. Ihre Firmenphilosophie bestand im Wesentlichen aus einer Handvoll trendiger Schlagwörter, die sich zu einem einzigen wunderbar einnehmenden Satz reihten. Es war 2004, das Comeback des Dotcom-Hype war so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie mussten sich an der Euphorie beteiligen, erst recht nachdem sie den Internetboom 1999 aus Feigheit verpasst hatten, sonst hätten sie das bis in alle Ewigkeit bereut.
Aus dem Promotionsprogramm auszusteigen, war Stephen nicht leichtgefallen. Theoretisch galt er nach wie vor als pausierender Doktorand an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania. Realistisch betrachtet war es aber ausgeschlossen, dass er je einen Doktortitel tragen würde.
Anstatt das Tastaturkabel einfach wieder einzustöpseln und sich zu verabschieden, blieb er einen Moment dort liegen, kostete die Zeit aus, die er nicht im lauten Verkaufsraum von GreeneSmart verbringen musste. Mittlerweile waren die Türen bestimmt schon geöffnet worden, und die ersten Kunden strömten in den Laden.
»Stephen, kann ich kurz mit Ihnen reden, während Sie da unten sind und wieder mal meinen Computer reparieren?«, fragte Allison in ihrem mütterlichen Tonfall. Sie hatte eine Stimme, die ihn, wenn er nicht aufpasste, nur allzu leicht einlullen konnte. »Ich dachte, wo Sie schon mal hier sind, könnten wir über Ihre beruflichen Perspektiven sprechen. Sie wissen ja, letzten Monat hätte eigentlich das Beurteilungsgespräch mit Ihrem Abteilungsleiter stattfinden sollen. Jetzt ist er im Urlaub und hat mich gebeten, das für ihn zu übernehmen.« Stephen war dem Gespräch bisher so gut er konnte ausgewichen; eine anstehende Beurteilung bedeutete, dass er weitere sechs Monate bei GreeneSmart ausgehalten hatte. Er wollte nicht daran erinnert werden, wie lange er schon hier war, doch jetzt saß er womöglich in der Falle. Vielleicht hatte sie das so geplant.
Arthur stand auf dem Mahagoni-Konferenztisch vor der Projektionswand und verkündete enthusiastisch: »Sie müssen wissen, wir kennen uns mit Stahl aus. Wir leben in Pittsburgh. Wir haben sozusagen Stahl im Blut.« Stephen stand ebenfalls, wenn auch nicht auf einem Tisch. »Das in Verbindung mit dem weltbesten Informatiktalent von der CMU ergibt unweigerlich ein Start-up, dem die Welt offensteht.« Ihre Präsentation lief wie am Schnürchen – die Mätzchen waren gut einstudiert. Das hier war ihr siebtes Meeting mit hochrangigen Risikokapitalgebern, kurz RKs, im Silicon Valley, die ihre Idee finanzieren sollten. Pittsburgh Steel Exchange hatte vor, Stahl in offenen Internet-Auktionen, ähnlich wie eBay, zu verkaufen. Die Geschäftsidee war genial, und sie sahen sich schon in Geld schwimmen.
Stephen stöpselte das Kabel wieder in den Computer, wozu die Reparatur hinauszögern? Aber er stand nicht auf. Wenn das Gespräch über seine beruflichen Perspektiven schon stattfinden musste, dann würde er den Teufel tun und sich intensiver daran beteiligen als unbedingt notwendig.
»Sie haben den Job!«, hatten Stephen und Arthur dreißigmal in dreißig Tagen gesagt. Pittsburgh Steel Exchange hatte genug Geld zur Verfügung, um unverzüglich ein Kernteam einzustellen. »Dreißig Leute? Ihr seid zu groß für Pittsburgh«, warnten die RKs. »Es ist Zeit, nach Kalifornien zu gehen. Wir helfen euch auf die nächste Ebene.« Die nächste Ebene? Das klang vielversprechend. »Und was ist mit dem Namen? Wir dachten, ihr kennt das Internet«, beschwerten sich die RKs. Mit
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