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Silo 1: Roman (German Edition)

Silo 1: Roman (German Edition)

Titel: Silo 1: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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ersten Blick –, aber die Farben waren
ganz anders. Die Monitore im Silo, die Programme, die seine Frau gefunden
hatte, machten aus diesen leuchtenden Grüntönen ein graues Einerlei und
löschten irgendwie alle Zeichen von Leben, von außergewöhnlichem Leben!
    Holston entfernte
den Schmutz von der Linse und fragte sich, ob denn zumindest deren allmähliche
Trübung wirklich war. Der Schmutz war real, er konnte ihn sehen und wegbürsten.
Aber war es einfach nur Schmutz – gab es gar keine Giftstoffe in der Luft hier
draußen? Konnte das Programm, das Allison entdeckt hatte, vielleicht nur das
verändern, was man ohnehin sah? Holston schwindelte. Er fühlte sich wie ein
großes Kind, das in die Welt hineingeboren worden war und nun so viel auf
einmal verarbeiten musste, dass ihm der Kopf dröhnte.
    Die Trübung ist
wirklich, entschied er, als er den letzten Rest Schmutz von der zweiten Linse
wischte. Es war eine Schicht, ein Film wie die falschen Grau- und Brauntöne,
mit denen das Programm diese grünen Felder und diesen blauen, mit duftigem Weiß
gepunkteten Himmel irgendwie überlagerte. Die Welt, die man vor den
Silobewohnern verbarg, war so schön, dass Holston sich zusammennehmen musste,
um nicht einfach nur dazustehen und mit offenem Mund zu staunen.
    Er war bei der
zweiten von vier Linsen angekommen und dachte über diese trügerischen Wände
unter ihm nach, die alles veränderten, was sie aufzeichneten. Wie viele
Menschen im Silo wussten wohl Bescheid?, fragte er sich. Überhaupt jemand? Und
wie fanatisch ergeben mussten diejenigen sein, die diese deprimierende Illusion
aufrechterhielten? Oder stammte die Inszenierung noch aus der Zeit vor dem
letzten Aufstand? War es eine Lüge, die keiner durchschaute und die sich durch
die Generationen zog – eine Reihe Flunkerprogramme, die auf den Silocomputern
einfach weiterliefen, ohne dass jemand eine Ahnung davon hatte? Denn wenn
jemand die Wahrheit kannte und wenn diese Kameras überhaupt etwas zeigen
konnten – warum dann nicht die atemberaubende Schönheit hier draußen?
    Die Revolten!
Vielleicht wollte man durch die Manipulation verhindern, dass sie immer wieder
ausbrachen. Holston trug die Polierpaste auf die zweite Kamera auf und fragte
sich, ob die Lüge von einer hässlichen Außenwelt einfach verhindern sollte,
dass die Leute hinauswollten. Hatte jemand entschieden, dass die Wahrheit
schlimmer wäre als der Verlust von Macht, von Kontrolle? Oder war es noch tief
greifender, noch düsterer? Hatte jemand Angst vor den vielen unerschrockenen,
freien Kindern, die man hier draußen würde in die Welt setzen können? Es gab so
viele entsetzliche Möglichkeiten.
    Und was war mit
Allison? Wo war sie? Holston schlurfte um den Betonturm herum zur dritten
Linse. Die vertrauten, aber noch immer eigenartig aussehenden Hochhäuser der
fernen Stadt kamen in Sicht. Allerdings waren dort jetzt mehr Gebäude als sonst
zu sehen, ein paar standen am Stadtrand, ein vollkommen fremdes Gebäude ragte
im Vordergrund auf. Die anderen, diejenigen, deren Anblick er auswendig kannte,
waren intakt und glänzten, sie waren nicht verdreht oder rissig. Holston
blickte zur Kuppe der grünen Hügel und stellte sich vor, Allison würde jeden
Augenblick dort auftauchen. Aber das war lächerlich. Woher sollte sie wissen,
dass er ausgerechnet an diesem Tag verbannt worden war? Würde sie sich an den
Jahrestag erinnern? Auch nachdem er zwei Jahre lang nichts unternommen hatte?
Er verfluchte seine frühere Feigheit, die vergeudete Zeit.
    Er war derjenige,
der zu ihr gehen musste, beschloss er.
    Auf einmal verspürte
er den Drang, genau das zu tun – sich den Helm vom Kopf und den plumpen Overall
vom Leib zu reißen und nur in seiner Karbonunterwäsche den Hügel
hinaufzurennen, die frische Luft in tiefen Zügen einzuatmen und lachend den
ganzen Weg zu seiner Frau zurückzulegen, die in irgendeiner unermesslich großen
Stadt voller Menschen und kreischender Kinder auf ihn wartete.
    Aber nein, man
musste erst den Schein wahren, die Illusion aufrechterhalten. Er wusste nicht
genau, warum eigentlich, aber seine Frau und alle anderen Verurteilten vor ihm
hatten sich ja ganz genauso verhalten. Er gehörte nun zum Klub, zur
Außengruppe. Man musste dem Druck der Geschichte, des Vorangegangenen
gehorchen. Er würde seine Aufgabe für diese Gruppe erfüllen, der er nun
angehörte, würde mit ihr das Geheimnis teilen. Und dieses Geheimnis war eine
starke Droge. Er konnte nun tun, was ihm befohlen

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