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Silo 1: Roman (German Edition)

Silo 1: Roman (German Edition)

Titel: Silo 1: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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verletzt
vorgefunden. Dieser Mensch lebte noch und trat um sich, aber Holston sah auf
einen Blick, dass die Verletzung tödlich war.
    Er spürte, wie ihm
die Tränen über die Wangen liefen, als er Allison das Haar aus dem Gesicht
strich. Schließlich kreuzten sich ihre Blicke, sie sah ihm aufmerksam in die
Augen. Kurz, eine Sekunde nur, bevor er sich fragen konnte, ob sie unter Drogen
gesetzt oder sonst irgendwie missbraucht worden war, sah er darin einen Funken
gelassener Klarheit, ein Aufblitzen ihres Bewusstseins, voll kühler Berechnung.
Dann war mit einem Blinzeln alles weg, und mit flackerndem Blick bat sie wieder
darum, dass man sie hinausließ.
    »Hebt sie hoch«,
sagte Holston. Der Ehemann in ihm konnte die Tränen nicht weiter zurückhalten,
während er seinem pflichtbewussten Selbst gestattete, die Lage als Sheriff nun
in den Griff zu kriegen. Er konnte nichts anderes tun, als sie einzusperren,
auch wenn er am liebsten laut gebrüllt hätte. »Hier lang«, sagte er zu Connor,
der beide Hände unter Allisons zuckende Schultern geschoben hatte. Er nickte zu
seinem Büro und der Arrestzelle hinüber. Direkt dahinter am Ende des Flurs
stach ihm die hellgelb gestrichene große Tür der Luftschleuse ins Auge. Streng
und bedrohlich, lauernd und still.
    In der Zelle hatte
Allison sich beruhigt. Sie saß auf der Bank, als sei sie nur hierhergekommen,
um sich auszuruhen und den Ausblick zu genießen. Stattdessen war Holston nun
nervös und unruhig. Er lief vor dem Gitter auf und ab und stellte Fragen, die
unbeantwortet blieben, während Deputy Marnes und der Mayor die
verfahrensrechtlichen Schritte einleiteten. Beide behandelten sowohl Holston
als auch seine Frau wie kranke Patienten. Und obwohl Holston schwindelig war
von all dem Grauen, das sich in der letzten halben Stunde zugetragen hatte, war
er sich in seinem polizeimeisterlichen Hinterkopf dunkel des Schreckens und der
Gerüchte bewusst, die sich nun zitternd durch die Beton- und Stahlbetonwände
fortpflanzen würden.
    »Sprich mit mir,
Allison«, bat er sie wieder und wieder. Er blieb stehen und umklammerte die
Gitterstäbe. Sie drehte ihm weiter den Rücken zu und blickte auf die
Monitorwand, in die braunen Hügel, den grauen Himmel, die dunklen Wolken. Immer
wieder strich sie sich die Haare zurück, ansonsten bewegte sie sich nicht und
sagte kein Wort. Nur als Holstons Schlüssel sich ins Schloss geschoben hatte,
kurz nachdem sie hineinbugsiert worden und die Tür geschlossen worden war,
hatte sie ein »nicht« von sich gegeben, und Holston hatte den Schlüssel
bereitwillig wieder abgezogen.
    Während er sie immer
wieder anflehte und sie ihn ignorierte, wirbelte die Nachricht einer
bevorstehenden Reinigung durch den Silo. Techniker liefen durch den Korridor,
es musste Maß für den Anzug genommen werden, der nun schnell gefertigt werden
sollte. Die Reinigungsutensilien wurden in der Luftschleuse bereitgestellt.
Irgendwo schepperte ein Gaskanister, als die Druckkammern mit Argon gefüllt
wurden. Der ganze Tumult drang vereinzelt in die Zelle, wo Holston dastand und
seine Frau anstarrte. Das Geplauder der Techniker verstummte, wann immer sie
sich an ihm vorbeidrückten, sie schienen in Holstons Beisein nicht einmal zu
atmen.
    Stunden vergingen,
Allison weigerte sich weiterhin zu sprechen – ein Verhalten, das weitere
Aufregung im Silo verursachte. Den ganzen Tag redete Holston durch das Gitter
hindurch auf sie ein, sein Kopf brannte vor Verwirrung, Sorge und Todesangst.
Alles war in einem einzigen Augenblick geschehen – alles, was er kannte, war zerstört.
Er versuchte, seine Situation zu erfassen, während Allison in der Zelle saß und
in das trostlose Land hinausblickte, sichtlich zufrieden mit ihrer Lage.
    Nach Einbruch der
Dunkelheit begann sie schließlich zu sprechen, als die Techniker in der Luftschleuse
fertig waren, nachdem die gelbe Tür geschlossen worden war und sich die meisten
für eine schlaflose Nacht zurückgezogen hatten. Auch Deputy Marnes war
gegangen, er hatte Holston zweimal auf die Schulter geklopft. Gefühlte
Ewigkeiten später – Holston war kurz davor, vor Erschöpfung ohnmächtig zu
werden –, lange nachdem die schemenhafte Sonne über den Hügeln und den
Überresten der zerfallenden Stadt untergegangen war, die man von der Kantine
und vom Aufenthaltsraum aus sehen konnte, flüsterte Allison im Halbdunkel der
Arrestzelle:
    »Das ist alles nicht
real.«
    Jedenfalls dachte
Holston, dass er das gehört hatte. Er bewegte

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