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Silo: Roman (German Edition)

Silo: Roman (German Edition)

Titel: Silo: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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gegen das kühle Geländer, der Klang der Schritte war unter ihr
noch immer zu hören, jetzt sogar lauter als zuvor. Sie holte auf! Juliette
rannte weiter, nahm drei Stufen auf einmal, ihr Körper flog fast aus der Kurve,
als sie hinunterwirbelte wie zuletzt in ihrer Kindheit. Mit einer Hand hielt
sie sich am Geländer fest, die andere streckte sie aus, um das Gleichgewicht zu
halten, ihre Füße berührten kaum die Stufen, bevor sie schon wieder weiterflog.
Sie konzentrierte sich darauf, nicht zu stolpern, denn das wäre bei dieser Geschwindigkeit
womöglich tödlich gewesen. Bilder von eingegipsten Armen und Beinen kamen ihr
in den Sinn, Geschichten über unglückliche ältere Bewohner mit gebrochenen
Hüften. Das Dreiunddreißigste nahm sie kaum wahr. Ein halbes Stockwerk später
hörte sie über das Geräusch ihrer Schritte hinweg eine Tür schlagen. Sie beugte
sich über das Geländer und sah hinunter. Die Schritte waren nicht mehr zu
hören, sie hörte nur noch ihr eigenes Keuchen.
    Juliette lief noch
eine Umdrehung weiter hinunter und versuchte es an der Tür zum
Vierunddreißigsten. Sie ging nicht auf. Sie war allerdings auch nicht
verschlossen. Die Klinke klickte, und die Tür bewegte sich ein wenig, hing aber
an etwas fest. Juliette zog, so fest sie konnte – ohne Erfolg. Dann riss sie
noch einmal daran, und etwas knackte. Einen Fuß gegen den Türrahmen gestemmt,
versuchte sie es ein drittes Mal, riss heftig daran, warf den Kopf zurück, zog
die Arme an die Brust und trat mit dem Fuß …
    Etwas brach. Die Tür
flog auf, und sie verlor den Halt am Griff. Von drinnen fiel überraschend
helles Licht auf den Treppenabsatz, dann schlug die Tür wieder zu.
    Juliette stolperte
nach vorn und öffnete. Im Flur lag die eine Hälfte eines Besenstiels, die
andere Hälfte hing noch im Griff der anderen Türseite. Die komplette Deckenbeleuchtung
war eingeschaltet, die hellen Rechtecke unter der Decke reichten den ganzen
Flur hinunter, so weit man gucken konnte. Juliette lauschte auf Schritte, hörte
aber nur die Glühbirnen summen. Am Drehkreuz vor ihr blinkte die rote Lampe,
als würde sie die Geheimnisse dieses Stockwerks kennen, sie aber für sich
behalten wollen.
    Juliette stand auf
und ging auf den Durchlass zu. Rechts von ihr lag hinter einer Glasscheibe ein
Konferenzraum, der ebenfalls hell erleuchtet war. Sie sprang über das Drehkreuz – langsam wurde das zur Gewohnheit – und rief noch einmal »Hallo«. Das Echo kam
zurück, aber in der beleuchteten Luft schien es anders zu klingen als draußen
auf der Treppe. Hier drinnen war Leben, war Strom, es gab andere Ohren, die
ihre Stimme hörten, und dadurch wurde das Echo irgendwie schwächer.
    Sie kam an den Büros
vorbei. Es herrschte überall ein heilloses Durcheinander, Schubladen lagen auf
dem Boden, metallene Aktenschränke waren umgeworfen, wertvolles Papier flog
herum. Einer der Tische war zur Tür ausgerichtet, und Juliette sah im
Vorbeigehen, dass der Computer in Betrieb war, der Bildschirm leuchtete grün.
Sie kam sich vor wie im Traum. In den zwei Tagen hier im Silo – falls sie
vorhin auf dem Treppenabsatz so lange geschlafen hatte – hatte sich ihr Gehirn
langsam an den mattgrünen Schein der Notbeleuchtung gewöhnt, an das Leben in
der Wildnis, ein Leben ohne Strom. Sie hatte immer noch den Geschmack des
fauligen Wassers auf der Zunge, und jetzt schlenderte sie plötzlich zwischen
zwar chaotischen, aber ansonsten ganz normalen Arbeitsplätzen umher. Sie
stellte sich vor, wie die nächste Schicht ins Büro kommen würde, wie die Männer
und Frauen lachend aus dem Treppenhaus hereinspazierten, mit Papier raschelten,
Möbel zurechtrückten und sich wieder an die Arbeit machten.
    Der Gedanke an einen
möglichen Berufsalltag brachte sie zu der Frage, was hier überhaupt getan
wurde. Sie vergaß ihre wilde Jagd über die Treppe, die Zimmer und die Tatsache,
dass es hier Strom gab, machten sie ebenso neugierig wie die Schritte, die sie
hergeführt hatten. Hinter einer Kurve kam sie zu einer breiten Metalltür, die
sich, im Gegensatz zu den anderen Türen, nicht öffnen ließ. Juliette zog daran,
aber sie rührte sich kaum. Sie presste ihre Schulter gegen die Tür und drückte
sie zentimeterweise auf, bis sie sich schließlich hindurchzwängen konnte.
Drinnen musste sie über einen großen Aktenschrank steigen, mit dem die Tür
verbarrikadiert gewesen war.
    Der Raum war riesig,
mindestens so groß wie die Generatorenhalle im alten Silo und deutlich

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