Silo: Roman (German Edition)
nach, dann schlug er den Wälzer ungefähr in der Mitte auf.
Im Falle eines Erdbebens
– Bei Rissen oder einem Leck in der Silohülle siehe LUFTSCHLEUSENBRUCH (S. 2180)
– Bei Zusammenbruch eines oder mehrerer Stockwerke siehe STÜTZPFEILER unter SABOTAGE (S. 751)
– Bei Feuer siehe …
»Sabotage?«
Lukas blätterte ein paar Seiten weiter und las etwas über Luftaufbereitung und
Erstickungstod. »Wer hat sich das alles ausgedacht?«
»Menschen, die
schlimme Dinge erlebt haben.«
»Wer denn zum
Beispiel?« Er war sich nicht sicher, ob er diese Frage überhaupt stellen
durfte, aber es schien, als würden die üblichen Tabus hier unten nicht gelten.
»Die Menschen vor dem Aufstand?«
»Die Menschen noch
viel früher«, sagte Bernard. »Das eine Volk.«
Lukas klappte das
Buch zu. Er schüttelte den Kopf und fragte sich, ob das alles ein Scherz war,
eine Art Initiationsritus.
»Ich soll das nicht wirklich alles lesen, oder?«
Bernard lachte. »Du
musst nur wissen, was an welcher Stelle steht, damit du nachschauen kannst,
wenn es nötig wird.«
»Und was steht über
heute Morgen darin?« Er wandte sich zu Bernard um, und ihm ging endlich auf,
dass niemand etwas von seinen Gefühlen für Juliette ahnte. Das schlechte
Gewissen, weil er ihre Dinge an sich genommen hatte, überlagerte seine
Beschämung darüber, dass er sich derartig in jemanden verliebt hatte, den er
kaum kannte.
»Seite zweiundsiebzig«,
sagte Bernard. Die gute Laune war aus seinem Gesicht gewichen, die Frustration
von vorhin war wieder da.
Lukas schlug
abermals das Buch auf. Er musste einen Test bestehen. Ein Ritual für einen
neuen Schatten. Es war lange her, dass er als Lehrling unter den Blicken eines
Spenders gearbeitet hatte. Er fing an, die Seiten durchzublättern, und sah,
dass das Kapitel, nach dem er suchte, direkt auf den Silovertrag folgte, gleich
zu Beginn der Weisung.
Er fand die Seite.
Ganz oben stand fettgedruckt:
– Im Falle einer missglückten Reinigung:
Und
darunter stand ein Satz, den Lukas mehrmals las, um auch wirklich sicher zu
sein, dass er richtig verstand. Er sah Bernard an, der traurig nickte, bevor
Lukas sich wieder der Seite zuwandte.
– Im Falle einer missglückten Reinigung:
auf einen Krieg vorbereiten .
48. KAPITEL
»Lebend’ge Leich in dumpfer Grabeshöhle!«
Juliette
folgte Solo durch die Öffnung im Fußboden. Eine Leiter führte aus dem
Serverraum in einen Teil des fünfunddreißigsten Stocks herunter, von dem sie
annahm, dass er vom Treppenhaus aus nicht zugänglich war. Solo bestätigte das,
als sie durch einen niedrigen Durchgang gingen und einem gewundenen und hell
erleuchteten Gang folgten. In der Kehle des Mannes schien sich eine Blockade
gelöst zu haben, die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Er sprach über die
Server und sagte Dinge, die für Juliette wenig Sinn ergaben. Schließlich kamen
sie ans Ende des Gangs und traten in einen unaufgeräumten Raum.
»Mein Zuhause«,
sagte Solo. In einer Ecke lag eine Matratze auf dem Boden, drum herum ein
Durcheinander von Decken und Kissen. Auf zwei Regalen war eine improvisierte
Küche eingerichtet: Wasserkaraffen, Konservendosen, leere Gefäße und Kisten. Es
war ein einziges Chaos, und es stank fürchterlich, wobei Juliette annahm, dass
Solo das selbst gar nicht mehr roch. Auf der anderen Seite standen Regale voll
mit hochkant gestellten Metallschatullen, die in etwa die Größe von kleinen
Schraubenkästen hatten.
»Lebst du allein?«,
fragte Juliette. »Gibt es sonst niemanden?«
Sie konnte selbst
die Hoffnung in ihrer Stimme hören.
Solo schüttelte den
Kopf.
»Und weiter unten?«
Juliette betrachtete die Schnittwunde an ihrer Hand. Es hatte fast aufgehört zu
bluten.
»Ich glaube nicht«,
sagte er. »Ab und zu fehlt mal eine Tomate, aber ich nehme an, das sind die
Ratten.« Er starrte in eine Ecke. »Ich kann sie nicht alle fangen. Werden immer
mehr.«
»Aber manchmal
glaubst du, es gibt noch mehr von euch? Noch mehr Überlebende?«
»Ja.« Er rieb sich
den Bart und sah sich in dem Raum um, als müsste er etwas für sie tun, seinem
Gast etwas anbieten. »Manchmal liegen die Dinge plötzlich woanders. Oder sie
fehlen ganz. Oder die Wachstumslampen sind noch an. Und dann fällt mir ein,
dass ich das war.«
Er lachte. Das war
das Erste, was an ihm natürlich wirkte, und Jules nahm an, dass er das
gelegentlich auch allein tat. Entweder man lachte, um geistig gesund zu
bleiben, oder weil man den Verstand schon
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