Silo: Roman (German Edition)
größer
als die Kantine. Überall standen Möbelstücke herum, die größer waren als
Aktenschränke, in die jedoch keine Schubladen eingelassen waren. Stattdessen
blinkten an den Vorderseiten lauter Lämpchen, rote, grüne und gelbliche.
Juliette ging
zwischen den Papieren umher, die aus dem Aktenschrank gefallen waren, und dann
begriff sie, dass sie nicht allein in dem Raum sein konnte. Jemand hatte den
Schrank vor die Tür geschoben, und zwar von innen .
»Hallo?«
Sie ging an den
hohen Maschinen entlang, denn um Maschinen handelte es sich wohl. Im Inneren
der Schränke summte Strom, und gelegentlich surrte oder knackte etwas. Sie
fragte sich, ob sie es mit einer Art exotischem Kraftwerk zu tun hatte – ob die
Energie für die Beleuchtung im Silo von hier stammte? Waren in den Schränken
Batterien untergebracht? Die ganzen Kabel und Leitungen an den Rückseiten
ließen das vermuten. Kein Wunder, dass überall Licht brannte. Die Halle hier
war ja so groß wie zwanzig Batterieräume in der Mechanik.
»Ist da jemand?«,
rief sie. »Ich tue Ihnen nichts!«
Sie arbeitete sich
durch den Raum vor und lauschte auf eine Bewegung, bis sie sah, dass an der
Rückseite einer der Maschinen die Tür offen stand. Sie schaute hinein, und zu
ihrer Überraschung waren darin keine Batterien, sondern diese Platinen, an
denen Walker immer herumlötete. Das Innere der Maschine sah dem Computer im
Versandraum verdammt ähnlich.
Juliette trat einen
Schritt zurück, als ihr aufging, womit sie es zu tun hatte. »Die Server«,
flüsterte sie. Sie war in der IT. Im
vierunddreißigsten Stock. Natürlich.
Von der
gegenüberliegenden Wand kam ein kratzendes Geräusch, wie von Metall auf Metall.
Juliette lief in die entsprechende Richtung, zwischen den hohen Serverschränken
hindurch. Sie fragte sich, wer um alles in der Welt da vor ihr weglief und wo
er sich verstecken wollte.
Sie umrundete die
letzte Reihe von Servern und sah gerade noch, wie ein Stück des Bodens sich
bewegte, eine Metallplatte, die über ein Loch glitt. Juliette hechtete auf die
Stelle zu, ihr Tischdeckenkleid wickelte sich um ihre Beine, ihre Hände
ergriffen den Rand der Abdeckung, bevor sie geschlossen werden konnte. Direkt
vor sich sah sie die Knöchel einer Männerhand, die das Gitter umklammerten. Sie
hörte einen überraschten Aufschrei. Juliette versuchte, ebenfalls an dem Gitter
zu ziehen, konnte sich aber nirgendwo abstützen. Eine der Hände verschwand. An
ihrer Stelle tauchte ein Messer auf, das nach ihren Fingern schlug.
Juliette zerrte an
dem Gitter, spürte das Messer an ihren Fingern.
Sie schrie. Der Mann
unter ihr schrie ebenfalls. Er streckte den Kopf heraus und hielt das Messer
zwischen sie, seine Hand zitterte, das Licht von oben zitterte auf der Klinge.
Juliette warf die metallene Bodenplatte beiseite und umfasste ihre blutende
Hand.
»Ganz ruhig«, sagte
sie und brachte sich außer Reichweite.
Der Mann tauchte ab,
dann kam er wieder ein Stückchen hinauf. Er sah an Juliette vorbei, als könnten
hinter ihrem Rücken womöglich noch mehr Menschen angelaufen kommen.
»Wer bist du?«,
fragte sie. Sie bandagierte ihre Hand mit einem Teil des Tischtuchs. Der Mann
hatte einen dichten Bart, wirkte ungepflegt und trug einen grauen Overall. Der
Overall hätte aus dem alten Silo stammen können, nur ein paar Details waren
anders. Der Mann starrte sie an, das dunkle Haar hing ihm ins Gesicht. Er
ächzte, hustete sich in die Hand und schien bereit, unter den Bodenplatten zu
verschwinden.
»Bleib hier«, sagte
Juliette. »Ich tue dir nichts.«
Der Mann betrachtete
ihre verletzte Hand und sein Messer. Juliette blickte ebenfalls an sich
herunter und sah einen dünnen Blutfaden, der in Richtung ihres Ellbogens rann.
Die Wunde schmerzte – als Mechanikerin kannte sie allerdings Schlimmeres.
»T-t-schuldigung«,
murmelte der Mann. Er leckte sich über die Lippen und schluckte. Das Messer in
seiner Hand zitterte leicht.
»Ich heiße Jules«,
sagte sie, als ihr aufging, dass der Mann wesentlich mehr Angst vor ihr hatte
als umgekehrt. »Und du?«
Er starrte auf die
Klinge, die er jetzt vor sich hielt, als würde er sich im Spiegel betrachten.
Er schüttelte den Kopf.
»Kein Name«,
flüsterte er tonlos. »Brauch keinen.«
»Bist du allein?«,
fragte sie.
»Solo«, sagte er.
»Jahre.« Er sah zu ihr auf. »Woher …« Wieder leckte er sich über die
Lippen und räusperte sich. »… kommst du? Welche Etage?«
»Du bist schon seit Jahren allein?«,
Weitere Kostenlose Bücher