Silo: Roman (German Edition)
dem
Weg.
Wie standen die
Chancen? Würden sie bereits Bescheid wissen? Bernards Leben war in nur zwei
Tagen völlig aus den Fugen geraten. Er griff in den Stoffbeutel, holte das
Headset heraus und setzte es sich auf die Ohren. Dann steckte er den
Klinkenstecker in die Buchse mit der Nummer eins und war überrascht, nur ein
Piepsen zu hören. Das Geräusch bedeutete, dass er selbst dort anrief.
Schnell zog er den
Stecker heraus und brach den Anruf ab. Das Licht über der Eins blinkte
überhaupt nicht. Das Licht über der Siebzehn blinkte.
Bernard hatte das
Gefühl, der Raum würde sich um ihn drehen. Ein toter Silo rief an. Ein
Überlebender? Nach so vielen Jahren? Ihm zitterte die Hand, als er die Klinke
in die Buchse steckte. Hinter ihm fragte Lukas etwas, aber durch den Kopfhörer
konnte Bernard nichts hören.
»Hallo?«, fragte er.
»Hallo? Ist da jemand?«
Hallo , sagte eine Stimme.
Bernard rückte den
Kopfhörer zurecht. Er gab Lukas ein Zeichen, dass er verdammt noch mal still
sein solle. Ihm klingelten immer noch die Ohren, das Blut lief ihm aus der Nase
in den Mund.
»Wer ist da?«,
fragte er. »Können Sie mich hören?«
Ich höre dich , sagte die Stimme. Bist du der, der
ich glaube, dass du bist?
»Wer zum Teufel ist
da?«, zischte Bernard. »Wie kommen Sie an die …«
Du hast mich
rausgeschickt , sagte die Stimme. Du hast mich in den Tod geschickt.
Bernard sackte mit
tauben Beinen zusammen. Fast hätte das Kabel ihm den Kopfhörer von den Ohren
gerissen. Lukas hielt ihn an der Schulter fest, damit er nicht endgültig das
Gleichgewicht verlor.
Bist du noch da? , fragte die Stimme. Weißt du, wer
hier ist?
»Nein«, sagte er.
Aber er wusste es genau. Es war unmöglich, aber er wusste es.
Du hast mich in den
Tod geschickt, du Arschloch.
»Du kanntest die
Regeln!«, schrie Bernard den Geist an. »Du hast genau gewusst, was passieren
würde!«
Halt die Klappe, und
hör mir zu, Bernard. Halt einfach dein blödes Maul, und hör mir gut zu.
Bernard wartete. Er
hatte den Geschmack seines eigenen Blutes im Mund.
Ich komme zu dir.
Ich werde nach Hause kommen, und dann gibt es eine Reinigung, wie du sie noch
nicht gesehen hast.
Die Welt ist nicht dein Freund, noch ihr Gesetz.
Er und ein Schurk sind himmelweit entfernt!
Ich zweifle nicht, und all dies Leiden dient
In Zukunft uns zu süßerem Geschwätz!
Der, welchen Blindheit schlug, kann nie das Kleinod
Des eingebüßten Augenlichts vergessen.
Ein Feuer brennt das andre nieder:
Ein Schmerz kann eines andern Qualen mindern.
Romeo und Julia
53. KAPITEL
Silo 18
Marck rannte die Haupttreppe hinunter, seine Hand glitt über das kalte Geländer,
unter dem Arm das Gewehr, seine Stiefel glitten immer wieder in einer Blutlache
aus. Er hörte kaum das Geschrei um sich herum, das Stöhnen der Verletzten, die
Rufe der Menschentrauben auf jedem Treppenabsatz oder das Drohgebrüll der
Männer, die ihn und die anderen von Stockwerk zu Stockwerk jagten.
Das Dröhnen in
seinen Ohren verdeckte die meisten anderen Geräusche. Es war die Explosion,
diese riesige Explosion – nicht die, die die Türen der IT gesprengt hatte, darauf war er vorbereitet gewesen und
hatte sich mit den anderen hingekauert. Auch nicht die zweite Bombe, die Knox
tief ins Herz des gegnerischen Stockwerks geworfen hatte. Nein, es war die
letzte gewesen – aus den Händen der kleinen weißhaarigen Frau aus der
Versorgung. Die hatte er nicht kommen sehen.
McLains Bombe. Sie
war direkt vor ihm losgegangen, hatte ihn das Gehör gekostet und McLain das
Leben.
Und Knox, der Chef
der Mechanik, sein guter Freund – tot.
Es war noch ein
langer Weg, bis sie sich unten im Silo in Sicherheit gebracht hätten, zudem war
Marck verzweifelt auf der Suche nach seiner Frau. Das war, worauf er sich
konzentrierte, viel eher als auf das, was geschehen war. Er wollte nicht an die
Explosion denken, die seine Freunde getötet und den Aufstand hatte scheitern
lassen.
Von oben waren
gedämpfte Schüsse zu hören, gefolgt vom Aufprall der Kugeln auf dem Stahl der
Treppe – Gott sei Dank nur auf dem Stahl. Marck ging auf Abstand zum äußeren
Handlauf, der von den oberen Treppenabsätzen beschossen wurde. Seine Leute
waren kämpfend über ein Dutzend Stockwerke geflüchtet. Marck betete still, dass
die Verfolger von ihnen ablassen, dass sie ihnen eine Pause gönnen würden, aber
die Stiefel und die Kugeln kamen immer näher.
Eine halbe Etage
tiefer holte er drei Kämpfer aus der Versorgung
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