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Silo: Roman (German Edition)

Silo: Roman (German Edition)

Titel: Silo: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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ihr jetzt nutzloses Implantat saß,
bei ihrer Geburt eingesetzt und nie entfernt, nicht ein einziges Mal. Diese
Säuglingsstation erinnerte sie an all das, was sie verloren hatte, was sie
ihrer Arbeit geopfert hatte.
    In der
Säuglingsstation war es zu dunkel, als dass man hätte erkennen können, ob sich
in den Bettchen Neugeborene bewegten. Jahns wurde natürlich über jede Geburt
unterrichtet. Als Bürgermeisterin unterschrieb sie für jeden neuen Silobewohner
ein Gratulationsschreiben und die Geburtsurkunde, aber inzwischen vergaß sie
die Namen schnell wieder. Sie erinnerte sich nur noch selten, auf welchem
Stockwerk die Eltern lebten und ob es ihr erstes oder zweites Kind war. Es
machte sie traurig, sich eingestehen zu müssen, dass die Geburtsurkunden
inzwischen nur noch Papierkram für sie waren, reine Routine.
    Zwischen den
Bettchen bewegte sich der schattenhafte Umriss eines Erwachsenen. Im Licht, das
aus dem Überwachungszimmer hereinfiel, schimmerten die Klammer eines
Klemmbretts und ein metallener Stift. Die Gestalt war groß und hatte den
Körperbau eines älteren Mannes. Er ließ sich Zeit, sah in ein Bettchen, und
dann vereinigten sich die beiden schimmernden Metallgegenstände, weil
offensichtlich etwas notiert wurde.
    Als er fertig war,
durchquerte er den Raum und kam durch eine breite Tür zu Marnes und Jahns ins
Wartezimmer.
    Peter Nichols war
eine imposante Erscheinung, stellte Jahns fest. Groß und schlank, aber nicht
wie Marnes, der seine Gliedmaßen eher unbeholfen ein- und auszuklappen schien.
Peter war schlank wie ein Sportler oder wie die Träger, die über Stockwerke
hinweg immer zwei Stufen auf einmal nahmen, als wären die Stufen genau dafür
gemacht. Körpergröße verlieh den Menschen Selbstbewusstsein, dachte Jahns
wieder einmal, während Dr. Nichols ihre ausgestreckte Hand ergriff und kräftig
schüttelte.
    »Da sind Sie ja«,
sagte er. Es war eine reine Feststellung, mit höchstens dem Hauch einer
Überraschung. Er ergriff auch Marnes’ Hand, dann kehrte sein Blick zu Jahns
zurück. »Ich habe schon Ihrer Sekretärin gesagt, dass ich kaum eine große Hilfe
sein werde. Ich habe Juliette nicht mehr gesehen, seit sie vor zwanzig Jahren
zum Schatten wurde.«
    »Nun ja, genau
darüber wollte ich mit Ihnen reden.« Jahns sah zu den gepolsterten Bänken
hinüber. Sie stellte sich die Großeltern, Tanten und Onkels vor, die dort saßen
und gespannt warteten, während die glücklichen Eltern mit ihren Neugeborenen
vereint wurden. »Können wir uns setzen?«
    Dr. Nichols nickte
und deutete hinüber.
    »Ich nehme jede
Berufung auf einen Posten sehr ernst«, erklärte Jahns und setzte sich dem Arzt
gegenüber. »In meinem Alter gehe ich davon aus, dass die meisten Richter und
Polizisten, die ich einsetze, mich überleben werden, daher möchte ich meine
Auswahl möglichst sorgfältig treffen.«
    »Aber das tun sie
nicht immer, nicht wahr?« Dr. Nichols legte den Kopf auf die Seite, wobei sein
ordentlich rasiertes, schmales Gesicht ausdruckslos blieb. »Sie überleben,
meine ich.«
    Jahns schluckte.
Marnes rutschte auf der Bank neben ihr herum.
    »Familien liegen
Ihnen doch sicher am Herzen.« Jahns wechselte das Thema, sie hatte verstanden,
dass auch diese Bemerkung nur eine Beobachtung gewesen war und er sie nicht
hatte verletzen wollen. »Hier auf der Station.«
    Der Arzt nickte.
    »Warum besuchen Sie
sich nie, Sie und Juliette? Ich meine, kein einziges Mal in zwanzig Jahren. Sie
ist doch Ihr einziges Kind.«
    Nichols wandte sich
ab, sein Blick ging zur Wand. Jahns wurde kurz abgelenkt durch eine andere
Gestalt, die sich hinter der Scheibe bewegte, eine Schwester, die ihre Runde
machte. Jahns nahm an, dass dort eine weitere Tür in die Kreißsäle führte, wo
sich möglicherweise gerade eine junge Mutter von der Geburt erholte und darauf
wartete, dass man ihr ihren wertvollsten Besitz übergab.
    »Ich hatte noch
einen Sohn«, sagte Dr. Nichols.
    Jahns griff nach
ihrer Tasche, um die entsprechende Akte herauszuholen, aber sie hatte sie nicht
dabei. Dieses Detail, dass es da noch einen Bruder gab, war ihr irgendwie
entgangen.
    »Das können Sie
nicht wissen«, sagte Nichols, der der Bürgermeisterin den Schreck ansah. »Er
hat nicht überlebt. Technisch ist er gar nicht erst geboren worden. Das
Lotterielos ist an jemand anderen gegangen.«
    »Das tut mir leid.«
    Am liebsten hätte
sie nach Marnes’ Hand gegriffen. Es war Jahrzehnte her, seit die beiden sich
absichtlich berührt hatten,

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