Silo: Roman (German Edition)
Klauen, als wären sie festgewachsen. Sie
schnitten die Pflanzen geschickt und mühelos zurück, mit einer
Selbstverständlichkeit, die sie nur durch Jahre der Übung erlangt haben
konnten.
»Warst du nicht der
Erste, der auf die Idee gekommen ist, dass der Diebstahl damals eine interne
Angelegenheit sein könnte?«, fragte Jahns, noch immer lachend. Sie und Marnes
folgten den Schildern zu den Probier- und Speiseräumen.
»Willst du das jetzt
wirklich wieder aufwärmen?«
»Was ist dir an der
Sache denn so unangenehm? Das war doch wirklich witzig.«
»Nicht für mich.« Er
blieb stehen und schaute durch einen Maschendrahtzaun auf ein Gestell mit
Tomaten. Ihr reifer Duft ließ Jahns’ Magen knurren.
»Wir waren damals
total darauf fixiert, jemanden festzunehmen«, sagte Marnes leise. »Holston war
völlig durch den Wind. Er hat mir jeden Abend gekabelt, ob es was Neues gäbe.
Ich habe sonst nie erlebt, dass er so dringend jemanden hopsnehmen wollte. Als
hätte er es irgendwie nötig gehabt, verstehst du?« Er schlang seine Finger um
die Zaunmaschen und schien durch das Gemüse in eine ferne Zeit zu starren. »Im
Nachhinein kommt es mir so vor, als hätte er da schon gewusst, dass etwas mit
Allison ist. Als hätte er es da schon kommen sehen.« Marnes wandte sich um.
»Weißt du noch, wie es war, bevor sie verurteilt worden ist? Die letzte
Reinigung war ewig her. Alle waren total angespannt.«
Jahns lächelte
längst nicht mehr. Sie stand nah bei Marnes. Er wandte sich wieder den Pflanzen
zu und beobachtete eine Arbeiterin, die ein paar reife Tomaten abschnitt und in
ihren Korb legte.
»Ich glaube, Holston
wollte irgendwie den Druck aus dem Silo lassen, verstehst du? Ich glaube, am
liebsten hätte er die Diebstähle hier unten selbst untersucht. Er hat täglich
nach meinem Bericht verlangt, als würde es um Leben und Tod gehen.«
»Tut mir leid, dass
ich davon angefangen habe«, sagte Jahns und legte ihm die Hand auf die
Schulter.
Marnes drehte sich
um und betrachtete ihren Handrücken. Unter seinem Schnauzer war seine
Unterlippe zu sehen. Jahns konnte sich vorstellen, wie er ihr die Hand küsste.
Sie zog sie weg.
»Schon gut«, sagte
er. »Ohne diesen ganzen Ballast ist es wahrscheinlich wirklich witzig.« Er
drehte sich um und ging weiter.
»Haben sie je rausgekriegt,
wie das Tierchen da reingekommen ist?«
»Über die Treppe«,
sagte Marnes. »Wie sonst? Wobei auch jemand meinte, dass ein Kind es
mitgenommen haben könnte, um es als Haustier zu halten, und dann ist es ihm
hier oben entwischt.«
Jahns lachte. Sie
konnte nicht anders. »Ein Kaninchen«, sagte sie. »Hält den besten Polizisten
unserer Zeit auf Trab und verschwindet mit einer Jahresration Gemüse.«
Marnes schüttelte
den Kopf und kicherte nun selbst ein bisschen. »Nicht den besten«, sagte er.
»Der beste war nie ich.« Er sah den Gang hinunter und räusperte sich, und Jahns
wusste genau, an wen er dachte.
* * *
Nach
einem üppigen Abendessen zogen sie sich eine Etage tiefer in die Gästezimmer
zurück. Jahns hatte den Verdacht, dass es beträchtlichen Aufwand gekostet
hatte, sie unterzubringen. Die Zimmer waren so kurz nach der Reinigung alle
belegt, manche doppelt und dreifach, weshalb die Vergabe extra für sie neu
organisiert worden war. Dass sie getrennte Zimmer bekommen hatten, die
Bürgermeisterin sogar eines mit zwei Betten, machte es nur noch schlimmer. Es
war nicht nur die Platzverschwendung, sondern auch das Arrangement. Jahns hatte
gehofft, weniger … zur Last zu fallen.
Und Marnes schien es
genauso zu gehen. Es waren noch Stunden bis zur Schlafenszeit, sie waren beide
aufgekratzt von dem guten Essen und dem starken Wein, und so lud er sie in sein
kleines Zimmer ein, um noch ein bisschen zu plaudern, während es in den Gärten
Nacht wurde.
Sein Zimmer war
geschmackvoll und gemütlich eingerichtet, allerdings nur mit einem Einzelbett.
Die oberen Gartenanlagen wurden von einem der wenigen Privatunternehmen
geführt, das die Wertmarken der Reisenden – die Ausgaben für ihren Aufenthalt
würden vom Reisebudget des Bürgermeisterbüros gedeckt werden – in eine
hochwertige Einrichtung zu investieren schien.
Jahns setzte sich
ans Fußende des Bettes. Marnes nahm sein Holster ab, legte es auf die Kommode
und ließ sich auf die Bank gleich daneben fallen. Sie zog die Stiefel aus und
rieb sich die schmerzenden Füße, und er redete über das Essen und die Verschwendung,
dass sie zwei Zimmer hatten.
Jahns presste
Weitere Kostenlose Bücher