Silo: Roman (German Edition)
erkennen. Es war schon spät, und sie nahm an, dass die meisten
Mechaniker von Reparaturarbeiten irgendwo im Silo nach Hause kamen. Der
Gedanke, so viele Stockwerke hinaufzumüssen und dann noch zu arbeiten,
überstieg ihre Vorstellungskraft.
Da sie ihre Position
nicht missbrauchen wollten, warteten sie in der Schlange, während die Arbeiter
eincheckten. Die erschöpften Männer und Frauen trugen sich und ihre
Arbeitszeiten ein, und Jahns wurde bewusst, wie viel Zeit sie damit
verschwendet hatte, beim Abstieg über ihr eigenes Leben nachzudenken, Zeit, die
sie damit hätte verbringen sollen, sich auf das Gespräch mit Juliette
vorzubereiten.
Der Arbeiter vor
ihnen zeigte seinen Ausweis vor, die blaue Karte der Mechaniker. Er kratzte
seine Informationen auf eine Schiefertafel. Als sie an der Reihe waren, schoben
sie sich durch das erste Tor und zeigten ihre goldenen Ausweise vor. Der Wärter
zog eine Augenbraue hoch, dann erkannte er die Bürgermeisterin.
»Euer Ehren«, sagte
er, und Jahns korrigierte ihn nicht. »Wir haben Sie noch gar nicht erwartet.«
Er winkte sie durch und griff nach einem Stück Kreide.
Jahns schaute zu,
wie er die Tafel umdrehte und in ordentlichen Druckbuchstaben ihre Namen
daraufschrieb und dabei mit der Unterseite der Hand den alten Kreidestaub
abrieb. Für Marnes schrieb er einfach »Sheriff«, Jahns korrigierte ihn auch
diesmal nicht.
»Ich weiß, dass sie
erst später mit uns rechnet«, sagte Jahns, »aber könnten wir Juliette Nichols
vielleicht jetzt schon sprechen?«
Der Wärter drehte
sich zu der Digitaluhr um, die den Heimkehrenden die Zeit anzeigte. »Sie kommt
erst in einer Stunde aus der Generatorenhalle. Vielleicht auch erst in zwei,
wie ich sie kenne. Sie können im Speisesaal auf sie warten.«
Jahns schaute Marnes
an, und er zuckte mit den Achseln. »Ich habe noch gar keinen richtigen Hunger«,
sagte er.
»Können wir zu ihr
gehen? Es wäre gut, sie bei der Arbeit zu sehen. Wir bemühen uns auch, nicht im
Weg herumzustehen.«
Der Wärter zog die
Schultern hoch. »Sie sind die Bürgermeisterin. Da kann ich wohl nicht Nein
sagen.« Er deutete mit der Kreide in Richtung des Flurs, während die Leute vor
dem Tor allmählich unruhig wurden. »Gehen Sie zu Knox. Er schickt jemanden mit
Ihnen runter.«
Der Chef der
Mechanikabteilung war nicht zu übersehen. Knox füllte mit Leichtigkeit den
größten Overall aus, den Jahns je gesehen hatte. Ein dicker Bart ließ ihn noch
üppiger wirken. Er wirkte so unbewegt wie eine Betonmauer.
Jahns erklärte ihr
Anliegen. Marnes sagte Hallo, und ihr ging auf, dass die beiden sich schon
begegnet sein mussten, als der Deputy das letzte Mal hier unten gewesen war.
Knox hörte zu, nickte und brüllte dann etwas mit einer so rauen Stimme, dass
die einzelnen Wörter nicht voneinander zu unterscheiden waren. Aber
irgendjemandem sagten sie etwas, denn hinter ihm tauchte wie ein herrenloses
Tier plötzlich ein Junge mit ungewöhnlich leuchtend roten Haaren auf.
»Bringdimazujules«,
knurrte Knox, der Abstand zwischen den Wörtern so winzig wie die Mundöffnung in
seinem Bart, wenn er sprach.
Marnes bedankte sich
bei Knox, der keinerlei Regung zeigte, dann folgten sie dem Jungen.
Die Gänge in der
Mechanik waren enger als überall sonst im Silo. Sie drängten sich durch den
Berufsverkehr. Die Betonwände waren grundiert, aber nicht gestrichen und
ziemlich rau, wie Jahns merkte, als sie mit der Schulter dagegen stieß. Die
Beleuchtung war schwach, die einzelnen Lampen lagen weit auseinander, wodurch
das Gefühl, tief in der Erde eingegraben zu sein, noch verstärkt wurde.
Der junge Schatten
mit dem orangeroten Haar führte sie um einige Ecken. Sie erreichten eine Treppe
und stiegen noch zwei Stockwerke tiefer. Ein Grollen ertönte und wurde lauter,
je tiefer sie kamen. Als sie das Treppenhaus im hundertzweiundvierzigsten
verließen, kamen sie an einem eigenartigen Apparat vorbei, der in einem offenen
Raum seitlich des Treppenhauses stand. Ein meterlanger stählerner Arm bewegte
sich auf und ab und trieb einen Kolben durch den Betonboden. Jahns wurde
langsamer, um sich diese rhythmische Kreisbewegung anzusehen. Es roch nach Verdorbenem.
Sie konnte den Geruch nicht einordnen.
»Ist das der
Generator?«
Marnes lachte, auf
eine herablassende, typisch männliche Art. »Das ist eine Pumpe«, sagte er. »Für
die Ölquelle. Damit wir nicht im Dunkeln lesen müssen.«
Er drückte sie kurz
an sich, als er an ihr vorbeiging, und Jahns verzieh ihm
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