Silo: Roman (German Edition)
schon
vorab ein schlechtes Gewissen, dass ich dir deine Zeit stehle«, sagte sie.
»Ach?« Er musterte
sie, seine buschigen weißen Augenbrauen und seine faltige Stirn zogen sich
besorgt zusammen. »Hast du was für mich?«
»Ich wollte dich nur
etwas fragen.« Sie setzte sich auf einen Hocker vor seiner Werkbank, Walker
nahm ebenfalls Platz.
»Dann sprich.« Er
wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, und Juliette sah, wie alt er
geworden war. Sie hatte ihn nicht so grauhaarig in Erinnerung, seine Haut nicht
so verrunzelt und altersfleckig. Sie erinnerte sich daran, wie eng er mit
seinem Schatten gewesen war.
»Es geht um
Scottie.«
Walker neigte den
Kopf und nickte. Er wollte etwas sagen, schlug sich ein paarmal mit der Faust
auf die Brust und räusperte sich. »Verdammt schade.« Mehr brachte er nicht
heraus. Er blickte kurz auf den Boden.
»Ich kann warten«,
sagte Juliette. »Wenn du noch Zeit brauchst …«
»Ich – ich habe ihn
überredet, diesen Posten anzunehmen. Ich kann mich noch erinnern, als das
Stellenangebot kam, ich hatte Angst, er könnte es ablehnen. Meinetwegen, weißt
du? Ich hatte Angst, dass er glaubt, ich könnte mich aufregen, wenn er geht,
und dass er deshalb für immer hier unten bleibt. Also habe ich ihn gedrängt,
die Stelle anzunehmen.« Er blickte auf, seine Augen waren glasig. »Ich wollte
ihm nur klarmachen, dass er frei entscheiden kann, was immer er möchte. Ich
wollte ihn nicht wegjagen.«
»Das hast du nicht.
Niemand sieht das so, und du solltest dir auch selbst keine Vorwürfe machen.«
»Ich glaube nur,
dass er da oben nicht glücklich war, das war nicht sein Zuhause.«
»Für uns hier unten
war er zu clever, vergiss das nicht. Das haben wir immer gesagt.«
»Er hat dich sehr
gemocht«, sagte Walker. »Meine Güte, wie der Junge dich bewundert hat!«
Juliette fasste in
ihre Tasche und zog die Kopie der Mail heraus, die sie auf die Rückseite eines
Zettels geschrieben hatte.
»Aber Scottie ist ja
nie den einfachen Weg gegangen …«, murmelte Walker.
»Nein, wahrlich
nicht. Walker, ich muss mit dir über etwas sprechen, das diesen Raum nicht
verlassen darf.«
Er lachte. »Als
würde ich jemals diesen Raum verlassen!«
»Ich meinte, dass du
mit niemandem darüber reden darfst. Mit niemandem, ja?«
Er schüttelte den
Kopf.
»Ich glaube nicht,
dass Scottie sich umgebracht hat.«
Walker schlug die
Hände vors Gesicht. Juliette stand auf und legte den Arm um seine bebenden
Schultern.
»Ich wusste es!«,
schluchzte er in seine Hände. »Ich wusste es, ich wusste es!«
Er sah sie an. »Wer
hat das getan? Dafür werden sie bezahlen, oder? Sag mir, wer es war, Jules!«
»Wer es auch war – einen weiten Weg hatten sie jedenfalls nicht.«
»Die IT-ler? Zur Hölle mit denen!«
»Walker, du musst
mir helfen, das zu verstehen – Scottie hat mir eine Nachricht geschickt, kurz
vor seinem … kurz bevor er ermordet worden ist.«
»Eine Nachricht?«
»Ja. Ich war kurz
vorher noch bei ihm, er hatte mich gebeten, zu ihm zu kommen.«
»In die IT?«
Sie nickte. »Ich
hatte ein paar seltsame Codes im Computer des letzten Sheriffs gefunden …«
»Holston.« Walker
senkte den Kopf. »Der letzte Verurteilte. Ja, Knox hat mir diesen Text von dir
gebracht, sah aus wie eine Programmiersprache. Ich habe ihm gesagt, dass
Scottie sich am besten damit auskennen würde, also haben wir es ihm geschickt.«
»Das war richtig
so.«
Walker wischte sich
kopfschüttelnd die Wangen. »Scottie war klüger als wir alle zusammen.«
»Ich weiß. Er hat
mir gesagt, dass der Text zu einem Programm gehört, mit dem man sehr scharfe
Bilder produzieren kann – Bilder wie die, die wir von draußen sehen.«
Sie wartete einen
Moment, um zu sehen, wie Walker reagieren würde. Ein Satz wie dieser war
eigentlich vollkommen tabu. Aber er blieb ungerührt. Wie Juliette gehofft
hatte, war Walker alt genug, um sich nicht mehr um eine mögliche Verurteilung
zu scheren.
»In dieser neuen
Mail hier erwähnt er nun eine zu große Pixeldichte.« Sie zeigte ihm die
Abschrift. Walker griff nach seiner Lupenbrille.
»Pixel«, sagte er
schniefend. »Das sind diese kleinen Punkte, aus denen sich ein Bild zusammensetzt.
Jeder Bildpunkt ist ein Pixel.« Er nahm ihr das Blatt aus der Hand und las. »Er
sagt, er fühlt sich da oben nicht sicher.« Walker rieb sich das Kinn. »Zum
Teufel mit denen!«
»Welcher Monitor
hätte eine Fläche von acht mal zwei Zoll, Walker?« Juliette besah sich all
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