Silo: Roman (German Edition)
sie
sich von der Mitte entfernte und je näher sie der Mechanik kam, immer
dringender wollte sie zu ihren Freunden zurück, selbst wenn sie in der
Zwischenzeit nicht gerade erfolgreich gewesen war.
Auf der
Polizeistation im unteren Drittel machte sie halt bei Deputy Hank. Sie kannten
sich schon lange. Ohnehin sah sie langsam wieder mehr bekannte Gesichter, die
Leute winkten ihr zu – allerdings mit düsteren Mienen, als wüssten sie in allen
Einzelheiten, was Juliette während ihrer Abwesenheit getan hatte. Hank wollte
sie überreden, eine Weile zu bleiben und sich auszuruhen, aber sie machte
lediglich eine Höflichkeitspause, füllte ihre Feldflasche auf und schleppte
sich dann die verbleibenden zwanzig Stockwerke hinunter.
Knox war begeistert,
dass er sie zurückhatte. Er drückte sie so eng an sich, dass ihr die Luft
wegblieb, dann hob er sie hoch und kratzte mit seinem Bart fast ihr Gesicht
wund. Er roch nach Schmierfett und Schweiß, diese Geruchsmischung, die Juliette
zuvor nie aufgefallen war, weil sie selbst nicht anders gerochen hatte.
Auf dem Weg in ihr
altes Zimmer wurde sie mehrmals aufgehalten, hörte gute Wünsche, Fragen nach
dem Leben ganz oben. Man sprach sie zum Spaß noch mit Sheriff an und zog sie
mit denselben derben Scherzen auf, mit denen sie groß geworden war und an die
sie sich längst gewöhnt hatte. Juliette fühlte sich bei all dem vor allem
traurig. Sie war aufgebrochen, um etwas zu leisten, und sie hatte versagt. Ihre
Freunde freuten sich über ihre Rückkehr, als wäre sie bloß im Urlaub gewesen
und sonst nicht wirklich etwas Dramatisches passiert.
Shirly von der
zweiten Schicht sah Juliette über den Flur kommen und begleitete sie den Rest
des Wegs bis zu ihrem Zimmer. Sie brachte Juliette über den Zustand des
Generators sowie über die Fördermenge der neuen Ölbohrung aufs Laufende. An der
Tür zu ihrem Zimmer bedankte sie sich und trat ein. Mit dem Fuß schob sie all
die gefalteten Notizen zur Seite, die man ihr unter der Tür durchgeschoben
hatte, sie stellte die Tasche ab, die sie geschultert hatte, dann fiel sie aufs
Bett. Sie konnte nicht einmal weinen, so erschöpft war sie.
Mitten in der Nacht
wachte sie auf. Ihr kleiner Computer zeigte die Zeit in grünen Ziffern an: 2 Uhr 14.
In dem Overall, der
nicht ihrer war, setzte sie sich auf die Kante ihres alten Betts und versuchte
sich an der Bestandsaufnahme ihrer Lage. Ihr Leben war noch nicht vorbei,
beschloss sie, auch wenn es sich im Moment so anfühlte. Am Morgen würde sie
zurück an ihren Arbeitsplatz in der Maschinenhalle gehen, sie würde den Silo am
Laufen halten, sie würde das tun, was sie am besten konnte. Die letzten Tage
schienen ihr kaum noch greifbar zu sein. Sie bezweifelte sogar, dass sie zu
Scotties Begräbnis gehen würde, es sei denn, sie brachten seinen Leichnam nach
ganz unten, damit er dort beerdigt wurde, wo er hingehörte.
Sie nahm die
Tastatur aus dem Wandregal. Sie sah, dass die Tasten mit einer Schmutzschicht
überzogen waren, Dreck, der ihr zuvor nie aufgefallen war. Auch der Bildschirm
war verschmiert. Sie musste dem Drang widerstehen, den Monitor gleich zu putzen
und den glänzenden Ölfilm abzuwischen, sie nahm sich vor, das Zimmer in den
kommenden Tagen etwas gründlicher zu putzen.
Statt weiter
vergeblich auf den Schlaf zu warten, fuhr sie den Computer hoch, um die
Dienstpläne für den nächsten Tag zu prüfen. Bevor sie den Taskmanager öffnen
konnte, sah sie, dass über ein Dutzend neuer Nachrichten in ihrem Posteingang
angezeigt wurden – sie hatte seit ihrer Verhaftung keinen Zugang mehr zu einem
Computer gehabt.
Sie loggte sich in
ihren Mailaccount ein und öffnete die letzte Nachricht. Sie war von Knox – ein
Strichpunkt und eine Klammer: ein Lächeln, das ihn eine halbe Wertmarke
gekostet hatte.
Juliette musste
einfach zurücklächeln. Sie konnte Knox nach seiner überschwänglichen Begrüßung
noch immer auf ihrer Haut riechen, und ihr wurde bewusst, dass all die Sorgen
und Probleme, die ihr über die Treppen bis hierher gefolgt waren, nichts wogen
im Vergleich zur Freude über ihre Rückkehr – zumindest was diesen Kerl betraf.
Für ihn hatte das schlimmste Ereignis der vergangenen Woche wahrscheinlich
darin bestanden, dass er einen Ersatz für Juliette hatte finden müssen.
Sie öffnete die
nächste Nachricht. Ein Vorarbeiter der dritten Schicht hieß sie zu Hause
willkommen – sicherlich hatte seine Mannschaft Überstunden machen müssen, um
ihre Schicht mit
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