Silo: Roman (German Edition)
und außerdem dem nächsten Dummkopf einen Gefallen tun könnte, der
irgendeinen Fehler beging und dafür zur Reinigung verurteilt wurde. Es war so
einfach! Sie musste gar nichts selbst machen, die anderen würden die Arbeit für
sie erledigen.
Sie lächelte, als
sie das Antriebsrad von der defekten Pumpe löste und dabei im Kopf eine Liste
der Teile erstellte, die sie benötigte. Mehr als ein, zwei Dinge würde sie
nicht austauschen müssen. Es war der perfekte Plan, um den reibungslosen Ablauf
im Silo endlich wiederherzustellen.
* * *
Juliette
übernahm zwei volle Schichten. Dann gab sie ihr Werkzeug ab und ging duschen.
Sie bearbeitete ihre Nägel mit einer harten Bürste über dem Waschbecken, sie
wollte, dass sie so sauber blieben, wie sie während ihrer Zeit ganz oben im
Silo gewesen waren. Und schließlich ging sie zum Speisesaal, sie freute sich
auf einen großen Teller mit kalorienreichem Essen – verglichen mit dem
wässrigen Kanincheneintopf aus der Kantine im ersten Stockwerk. Als sie den
Eingangsbereich der Mechanik durchquerte, sah sie Knox im Gespräch mit Deputy
Hank. So, wie die beiden sich zu ihr umdrehten und sie anstarrten, wusste sie,
dass sie über sie sprachen. Ihr wurde flau im Magen. Ihr erster Gedanke galt
ihrem Vater, ihr zweiter Lukas. Wen sonst könnten sie ihr noch wegnehmen? Wobei
man Lukas bisher eigentlich nicht mit ihr in Verbindung bringen konnte – was
auch immer er ihr tatsächlich bedeutete.
Sie eilte auf die
beiden zu, obwohl sie ihr schon entgegenkamen. Ihre Mienen bestätigten
Juliettes Befürchtungen. Irgendetwas Schreckliches war passiert. Sie sah gar
nicht richtig, dass Hank nach seinen Handschellen griff.
»Tut mir leid,
Jules«, sagte er, als sie näher kamen.
»Was ist passiert?«,
fragte sie. »Dad?«
Hanks Brauen zogen
sich verwirrt zusammen. Knox schüttelte den Kopf und kaute auf seinem Bart
herum. Er starrte den Deputy an, als wollte er ihn gleich auffressen.
»Knox, was ist los?«
»Jules, es tut mir
leid.« Er schien noch mehr sagen zu wollen, dann aber den Mut nicht
aufzubringen. Juliette spürte, wie Hank ihren Arm nahm.
»Du bist verhaftet
wegen schwerer Vergehen gegen den Silo.« Er sagte sein Sprüchlein auf wie ein
trauriges Gedicht. Der Stahlring an ihrem Handgelenk schnappte zu. »Du wirst
nach den Gesetzen des Silovertrages vor Gericht gestellt und verurteilt.«
Juliette sah Knox
an. »Was soll das?«
»Solltest du
schuldig gesprochen werden, wirst du die Chance zu einem ehrenvollen Dienst an
der Gemeinschaft bekommen.«
»Was soll ich tun?«,
flüsterte Knox, seine Muskeln zuckten unter dem Overall. Er rang die Hände, als
er sah, wie die zweite Handschelle sich schloss. Der hünenhafte Chef der
Mechanik schien sie mit Gewalt befreien zu wollen – oder Schlimmeres
vorzuhaben.
»Keine Sorge, Knox«,
sagte Juliette kopfschüttelnd. Der Gedanke, noch mehr Menschen könnten
ihretwegen zu Schaden kommen, war unerträglich.
»Sollte die
Menschheit dich aus dieser Welt verbannen …«, deklamierte Hank weiter, seine
Stimme brach, seine Augen füllten sich mit Tränen der Scham.
»Lass gut sein«,
sagte Juliette zu Knox. Sie sah an ihm vorbei zu den Arbeitern, die ihre
Schicht hinter sich hatten und bei diesem Anblick stehen blieben: ihre
verlorene Tochter, schon wieder in Handschellen.
»In der Verbannung
mögen deine Sünden von dir genommen werden«, schloss Hank. Er sah sie an, mit
einer Hand umklammerte er die Kette zwischen den Handschellen.
»Es tut mir so
leid«, sagte er.
Juliette nickte ihm
zu. Sie nahm sich zusammen, nickte auch Knox zu. »Schon gut.« Sie nickte noch
immer. »Ist schon gut, Knox, lass es gut sein.«
29. KAPITEL
Der
Aufstieg dauerte drei Tage, länger als gewöhnlich, es gab jedoch entsprechende
Vorschriften. Ein Tagesmarsch zu Hanks Büro, eine Nacht dort in der Zelle. Am
Morgen kam Deputy Marsh aus der mittleren Polizeistation und begleitete sie die
knapp fünfzig Stockwerke hinauf zu seinem Büro.
Am zweiten Tag des
Aufstiegs fühlte Juliette sich wie gelähmt. Die Blicke der Passanten glitten
von ihr ab wie Wasser an Fett. Ihr fiel es schwer, sich um ihr eigenes Leben zu
sorgen, sie dachte vor allem an die Toten – von denen einige ihretwegen nicht
überlebt hatten.
Wie Hank versuchte
sich auch Marsh in Small Talk, aber alles, was Juliette den beiden hätte
antworten können, war, dass sie auf der falschen Seite standen. Dass das Böse
im Silo in diesen Tagen Amok lief.
Die Zelle auf der
mittleren
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